Veranstaltung: | Landesmitgliederversammlung Limburg 2015 |
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Tagesordnungspunkt: | 6. Anträge |
Antragsteller*in: | Bernd Kraft (KV Main-Kinzig) |
Status: | Abgelehnt |
Beschlossen am: | 26.09.2015 |
Eingereicht: | 07.09.2015, 14:15 |
6.3: Demonstrationsrecht
Die Landesmitgliederversammlung möge beschließen:
1. Die Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen wird aufgefordert, sich ihrer Wurzeln
bewusst zu werden und künftig den Versuch zu unterlassen, das Demonstrationsrecht
einzuschränken. Ziel der politischen Arbeit muss es sein, das Recht auf freie Meinungsäußerung
und das Versammlungsrecht, also das Demonstrationsrecht, insgesamt zu erhalten und zu stärken.
2. Die LMV begrüßt ausdrücklich die erfolgreiche Initiative der GRÜNEN Landtagsfraktion zur
Einführung der Kennzeichnungspflicht für Polizisten.
Begründung
Unsere Fraktion hat im Landtag eine CDU-Initiative zur Strafverschärfung bei Taten gegen Polizisten und Einsatzkräfte z. B. bei Demonstrationen durch einen neuen §112 StGB im obrigkeitsstaatlichen Sinne mitgetragen. Diese von Jürgen Frömmrich MdL vehement verteidigte Initiative wurde vom Bundesrat verworfen und ist damit gescheitert. Aber im Zuge der Argumentation um dieses Vorhaben ist eine bedenkliche Gesinnung zum Ausdruck gekommen (öffentlich durch den Hessischen Rundfunk in der Hessenschau dokumentiert): Sicherheit steht vor und über unveräußerlichen Bürgerrechten. Wollen wir das wirklich? Wohl kaum; dies ist ein für GRÜNE inakzeptables Novum!
Nun ist glaubwürdig, dass ein Teil der Fraktion und des Landesvorstandes dem (alten) CDU-Vorhaben, Sonderrechte für Beamte durchzusetzen, aus taktischen Gründen zustimmte und sich nun auch nicht ganz unberechtigt als Gewinner sieht, weil der besagte § 112 StGB schon im Bundesrat abgelehnt, aber die Kennzeichnungspflicht der Beamten durchgesetzt wurde. Aber im Kern ist der Kontext, in dem sich die Diskussion um den § 112 bewegte, nicht primär taktisch und pragmatisch zu sehen. Denn diese Diskussion ist Teil der Grundsatzdiskussion, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen, und sie steht im Kontext eines „Sicherheits“-Diskurses, in dem auch in unserer Partei zunehmend „Sicherheit“ alternativ zu Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit besetzt wird.
Die Diskussion um die Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamten, daran sei an dieser Stelle erinnert, haben wir auch deshalb gefordert, weil wir eine durchaus ansehnliche Liste an polizeilichen Übergriffen hatten, besonders auch anlässlich von friedlichen Demons-trationen. Und nicht zuletzt fördert auch und gerade die z. B. in Frankfurt bei den Blockupy-Demonstrationen stets angewandte "Wanderkessel"-Strategie auch gegenüber friedlichen Demonstrantinnen und Demonstranten das Entstehen von Aggression und Ausschreitungen (wer an einer der Demonstrationen teilgenommen hat, weiß, wovon wir sprechen).
Auch die im Zuge der gewalttätig ausgearteten Demonstration bei der Eröffnung der neuen EZB geäußerten Angriffe und Verunglimpfungen gegen Landtagsabgeordnete der LINKEN als Veranstalter der Demonstrationen sind wir zwar von dem Koalitionspartner (CDU) sattsam gewöhnt, soweit man sich daran gewöhnen kann, nicht aber von Mitgliedern der eigenen Partei, die sich öffentlich teilweise in unzumutbarer Diktion verstiegen haben! Nicht, dass wir als GRÜNE Partei die gewalttätigen Ausschreitungen an sich in irgendeiner Weise unterstützen sollten oder wollten; ein "Krawalltourismus" mit dem primären Ziel, die jeweiligen Sicherheitskräfte am Demonstrationsort anzugreifen und zerstörerisch durch Innenstädte zu ziehen, ist selbstverständlich auch für uns nicht legitim. Dies ändert aber nichts daran, dass Demonstrationen an sich schon ein schützenswertes Gut sind, dass die konkreten Demonstrationen (nicht die Gewalt im Vorfeld!), die sich gegen den Kapitalismus in seiner derzeitigen Form gerichtet haben, aus Sicht auch vieler GRÜNER absolut gerechtfertigt sind und dass die Organisatoren wohl eher für ihr Engagement zu loben gewesen wären, als sie für die Eskalation durch eine gewaltbereite deutliche Minderheit verantwortlich zu machen.
Im Kontext der anderen massiven Angriffe auf das Demonstrationsrecht, auf das Streik- und Tarifrecht (Tarifeinheitsgesetz) sowie durch die CDU/SPD-Administration auf die Pressefreiheit (Angriff des Verfassungsschutzes auf netzpolitik.org) halten wir es für unabdingbar, dass sich unsere Partei klar und eindeutig
- gegen die weitere Verschärfungen des Demonstrationsrechts,
- gegen die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit und
- gegen den Abbau demokratischer Bürgerrechte
positioniert. Nicht zuletzt wird unsere Partei von vielen Menschen auch heute noch wegen ihrer vier Säulen gewählt, also weil wir ökologische, soziale, basisdemokratische und gewaltfreie Politik machen und uns als Garant für die Rechte der Bürger/innen und der Minderheiten stark machen. Je weiter sich die Partei argumentativ von diesem Anspruch entfernt, wenn sie gar diesen Anspruch für den Kampf um Mehrheiten aufgibt und sich stattdessen dem bürgerlich-konservativen Populismus ergibt, desto überflüssiger wird sie werden. Mit anderen Worten: Setzt man sich für eine Strafverschärfung im obrigkeitsstaatlichen Sinne ein, auch wenn das am Ende scheitert, ist der propagandistische Gewinn der Gegner der Freiheit höher, als der kurzfristige taktische Gewinn für unsere Partei, und die Partei verliert ihre Authentizität, ihr Gesicht und ihre Berechtigung gleichermaßen.
Unterstützer*innen
- Christa Martin (KV Main-Kinzig)
- Simon Lissner (KV Limburg-Weilburg)
- Ingo Ruther (KV Frankfurt)
- Ulrich Chilian (KV Wiesbaden)
- Gabriela Schuchalter-Eicke (KV Wiesbaden)
- Andreas König (KV Wiesbaden)