Veranstaltung: | Landesmitgliederversammlung Limburg 2015 |
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Tagesordnungspunkt: | 6. Anträge |
Antragsteller*in: | Landesvorstand, Landtagsfraktion |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 23.09.2015, 12:07 |
6.16: Demonstrationsrecht und Kommunikation der Beteiligten in Hessen gestärkt
Die Landesmitgliederversammlung möge beschließen:
1. Das Demonstrationsrecht, die Presse- und Meinungsfreiheit gehören zu den höchsten Gütern
unserer Demokratie. Sie sind zu Recht grundgesetzlich geschützt. Wir haben unsere Wurzeln in
der Umwelt-, Anti-AKW-, Friedens-, Bürgerrechts-, Frauen-, und anderen sozialen Bewegungen. In
Hessen haben uns gerade auch die Proteste gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens und den
Bau der Startbahn West geprägt. Wie keine andere Partei stehen wir für eine lebendige
Protestkultur, für friedliche, bunte und vielfältige Demonstrationen. Wir erachten auch
bestimmte Formen des zivilen Ungehorsams wie beispielsweise Sitzblockaden als legitimes Mittel
– aber nur dann wenn sie gewaltfrei sind.
2. Von Anfang an war Gewaltfreiheit einer der Gründungswerte unserer Partei. Joschka Fischer
hat dies vor einigen Jahren in einer Fragestunde des Bundestags so formuliert:
„Ich war militant. Ich habe mit Steinen geworfen. Ich war in Prügeleien mit Polizeibeamten
verwickelt. Ich habe auch Polizeibeamte geschlagen. Ich stehe zu meiner Verantwortung.
Ich war damals kein Demokrat sondern revolutionär, aber mit einem Freiheitsanspruch. Ich habe
damals aber erkannt, wie Gewalt die eigenen Gesichtszüge verzerrt, selbst wenn man meint, sie
aus guten Gründen einsetzen zu können. Das war für mich die entscheidende Erfahrung, wo ich
mich abgewandt habe, innerlich und auch in den politischen Konsequenzen. Ich habe damals
Unrecht getan. Und ich habe mich dafür zu entschuldigen bei allen, die davon betroffen waren.
Dieses habe ich getan und tue ich heute wieder. Ich stehe seitdem für einen Lebensweg, der
bedeutete auch die Integration jener Teile, die damals jung waren. Und ich rede hier nicht von
Jugendsünden, das haben andere getan. Ich war damals bereits im Erwachsenenalter. Aber ich
stehe auch für eine Politik seitdem, die nicht nur Gewaltfreiheit propagiert und durchsetzt,
sondern die vor allen Dingen auch die Hineinentwicklung in die demokratische Grundordnung, und
ich weiß, was dieses bedeutet, denn im Gegensatz zu all den Gerechten, ich musste mich dort
erst hineinentwickeln aus Gründen, die ich jetzt in dieser Antwort nicht darstellen will. Aber
ich habe mich dort aus Überzeugung wirklich zum Demokraten gewandelt und dieses entspricht auch
dem politischen Lebensweg und dem meiner Partei. Und meine Partei hat es von niemandem nötig,
sich hier zu Gewaltfreiheit aufrufen zu lassen. Denn der Schritt zu den Grünen war für mich
entscheidend auch bedingt durch das Bekenntnis zu Demokratie und Gewaltfreiheit.“
(Bundestagsprotokoll)
3. Das sensible Thema der Wahrung der friedlichen Versammlungsfreiheit war Bestandteil der
Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und Grünen in Hessen. Wörtlich heißt es im
Koalitionsvertrag:
„Wir wollen eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Strafgesetzbuches ergreifen, um den
Schutz von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sowie anderen Einsatzkräften bei gewalttätigen
Übergriffen zu verbessern.
Um den Bürgerinnen und Bürgern offen gegenüberzutreten und eine eindeutige Identifizierung zu
ermöglichen, werden hessische Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte grundsätzlich ein
Namensschild tragen. Um ihre Sicherheit nicht zu gefährden, haben sie das Recht, ihr
Namensschild gegen eine Nummer zu tauschen.“
Den Koalitionsvertrag hat die Landesmitgliederversammlung mit einer deutlichen Zustimmung von
75% beschlossen. Die Fraktion bzw. die Koalition haben die Vereinbarungen des
Koalitionsvertrages in diesen beiden Bereichen umgesetzt:
- Angehörige der Polizei, die im Einsatz unverhältnismäßig und gewalttätig gegen
Demonstrantinnen und Demonstranten vorgehen, können in Hessen mittlerweile identifiziert
und ggf. angezeigt werden.
- Im Bundesrat hat Hessen im Gegenzug eine Initiative gestartet, die den tätlichen Angriff,
also eine unmittelbar auf den Körper zielende gewaltsame Einwirkung härter bestraft.
Diese Initiative hat bisher keine Mehrheit gefunden.
- Für die CDU war das Thema Kennzeichnungspflicht ebenso wenig ein Herzensanliegen wie für
uns der Schutzparagraph. Kompromisse zu finden ist das Wesen einer Koalition und wir
erachten diesen Kompromiss im Gesamtergebnis als richtig.
4. Um Lehren gerade aus dem stark kritisierten Polizeieinsatz bei den Blockupy-Protesten 2013
zu ziehen, wurden unter grüner Regierungsbeteiligung außerdem die Deeskalationsarbeit deutlich
gestärkt und die Kommunikationsstrategie überarbeitet. Gerade im Vorfeld der Blockupy-Proteste
im Jahr 2015, aber auch am Tag der Proteste gegen die Eröffnung des Neubaus der EZB, waren die
Anstrengungen der Polizei für die Umsetzung dieser Strategie beachtlich.
5. Am Morgen des 18. März 2015 kam es durch eine Minderheit von Demonstrierenden gegen die
Eröffnung des Neubaus der EZB leider zu schrecklichen gewalttätigen Ausschreitungen in der
Frankfurter Innenstadt. Hierbei kam es zu Handlungen und Bildern, die uns nach wie vor
fassungslos machen: Brandsätze, die in besetzte Polizeiautos geworfen wurden, brutale Gewalt
gegen Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten sowie Sachbeschädigungen in
hohem Ausmaß. Die Gewalttäter haben nicht nur schwere Straftaten begangen, sondern auch den
legitimen Anliegen der mehrheitlich friedlichen Demonstrantinnen und Demonstranten schwer
geschadet.
6. Auch in Anbetracht dieser Vorkommnisse sehen wir in der Deeskalations- und
Kommunikationsstrategie weiterhin die größten Chancen – und zwar für beide Seiten, für die
Demonstrierenden und die Einsatzkräfte. Durch die Deeskalationsstrategie im Vorfeld der
Blockupy-Proteste und das besonnene Vorgehen gegen die gewalttätige Minderheit konnten die
Gewalt eingegrenzt, noch schlimmere Verletzungen verhindert und am Nachmittag auch der
Demonstrationszug der friedlichen Mehrheit durchgeführt werden. In unserer Bewertung dieses
Tages bleibt die Deeskalationsstrategie richtig. Klar ist auch, dass Deeskalation wie an diesem
Tag an ihre Grenzen kommen kann und dann konsequente Schritte zum Schutz der Allgemeinheit
notwendig werden. Wir wollen sowohl die Einsatzkräfte der Polizei und der Rettungsdienste als
auch die Zivilgesellschaft bestmöglich vor gewalttätigen Übergriffen bei Demonstrationen
schützen. Bei Eingriffen in Freiheitsrechte gilt es besonders sensibel abzuwägen. Darüber
wollen wir mit allen Beteiligten im Gespräch bleiben. Nur bei Wahrung der Balance der
berechtigen Anliegen aller Beteiligten erreichen wir am Ende eine friedliche
Demonstrationskultur.
Begründung
erfolgt mündlich
Unterstützer*innen
- Jo Dreiseitel (KV Groß-Gerau)
- Priska Hinz (KV Lahn-Dill)