Antrag: | Hessen heißt Flüchtlinge willkommen – aktiv für Menschenrechte und Integration! |
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Antragsteller*in: | Landesvorstand der Grünen Jugend Hessen (dort beschlossen am: 26.09.2015) |
Status: | Übernahme |
Eingereicht: | 26.09.2015, 12:27 |
ÄA 6.15 NEU-6: Hessen heißt Flüchtlinge willkommen – aktiv für Menschenrechte und Integration!
Die Landesmitgliederversammlung möge beschließen:
Von Zeile 145 bis 146 einfügen:
- Um die schulische und berufliche Integration zu erleichtern, sollen möglichst früh die Qualifikationen von Flüchtlingen abgefragt und anerkannt werden.
Millionen Menschen sind aktuell auf der Flucht vor Krieg, Leid, Verfolgung und Hunger. Viele
davon sind Kinder. Die Bilder und Berichte in den Medien von Menschen auf der Flucht bewegen
uns GRÜNE zutiefst. Sie erinnern uns erneut daran, dass gerade der wohlhabende Teil der Welt in
der Verantwortung steht, diesen Menschen eine neue Heimat zu eröffnen – auch weil viele der
Konflikte auf dieser Welt mit der ungleichen Verteilung von Reichtum und Armut, der Art unserer
weltweiten Wirtschaftsweise oder unserem Handeln oder teilweise Nicht-Handeln in diesen Ländern
zu tun haben.
Auch in Hessen kommen Flüchtlinge aus aller Welt an, in den letzten Wochen besonders viele. Der
Anteil derer, die vor Krieg und Gewalt fliehen, hat sich deutlich erhöht. Waren es 2013 noch
8.688 Flüchtlinge, die nach Hessen kamen, so waren es von Januar bis Juli 2015 bereits 22.708
Menschen. Insgesamt werden im Jahr 2015 derzeit 58.000 Asylsuchende erwartet. Die Situation für
diese Menschen ist angespannt, ihnen muss sofortige Hilfe zuteil werden. Aber auch für die
Akteure, die sich in den Erstaufnahmeeinrichtungen und in den aufnehmenden Gemeinden und
Kreisen engagieren, ist die aktuelle Situation sehr fordernd.
Wir wollen, dass die hier ankommenden Menschen in Hessen willkommen geheißen werden. Menschen,
die vor Verfolgung, Krieg und Terror fliehen mussten, müssen zügig anerkannt werden. Wir
wollen, dass diese Menschen gut und sicher leben können und dass sie eine Perspektive für ihr
weiteres Leben entwickeln können. Wir wissen, dass viele dieser Menschen hier bleiben werden
und wir begreifen dies auch als Chance für unser Land.
Es kommen auch Menschen hierher, die in ihrem Land aufgrund der ökonomischen Situation keine
Perspektive für sich und ihre Familien mehr sehen. Auch sie versuchen aus individuell
verständlichen Gründen Asyl zu erhalten, weil ihnen kein anderer legaler Zuwanderungsweg nach
Mitteleuropa zur Verfügung steht. Auch wenn nicht alle Asylsuchenden auch einen Asylanspruch
haben ist für uns elementar, dass alle ein Recht darauf haben, menschenwürdig behandelt zu
werden. Eine Perspektive für diese Personengruppe liegt insbesondere in der sozialen und
wirtschaftlichen Verbesserung in ihren Herkunftsländern – für die auch Deutschland und Europa
Verantwortung tragen, sowie in einem für Deutschland überfälligen Einwanderungsgesetz.
In der aktuellen Situation sind alle Ebenen und Akteure gefragt, da anzupacken, wo Hilfe
benötigt wird. Auch das Land Hessen muss weiterhin zeigen, dass alles getan wird, um den
Schutzsuchenden die Hilfe zu geben, die sie benötigen.
Wir legen besonderen Wert darauf, dass die Ausländerbehörden bei der Vollstreckung der
Ausreisepflicht jeden Einzelfall dahingehend sensibel überprüfen, ob Abschiebungshindernisse
vorliegen oder eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung geboten erscheint. Wir setzen uns
für eine Aussetzung von Abschiebungen in Regionen ein, bei denen in den Wintermonaten für die
zurückkehrenden Flüchtlinge unzumutbare Härten entstehen würden. Durch eine solche Aussetzung
der Abschiebung und einem humanitär begründeten Bleiberecht soll sichergestellt werden, dass
Menschen vor einer die Lebensexistenz bedrohenden Diskriminierung geschützt werden. Dabei ist
insbesondere die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)
und des Bundesverfassungsgerichts, wonach vonseiten des aufnehmenden Landes eine Zusicherung
für eine menschenwürdige und damit winterfeste Unterkunft vorliegen muss – insbesondere für
schutzbedürftige Gruppen (beispielsweise Familien mit Kindern unter 16 Jahren und Schwangere) –
zu beachten.
Die große Aufnahme- und Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung, das große Engagement vieler
freiwilliger Helferinnen und Helfer der Hilfsorganisationen sowie vieler weiterer
Ehrenamtlicher, der enorme Einsatz der zuständigen Behörden, die vielen Projekte und
Hilfsaktionen sind ein eindrucksvolles Zeichen der vorherrschenden Willkommenskultur. Wir sind
dankbar für das, was bereits geleistet wurde und wollen diesen Einsatz weiterhin stärken und
unterstützen. Der vom Landesverband für den 10. Oktober organisierte Flüchtlingskongress in
Wetzlar ist ein Schritt auf dem Weg zu einer Vertiefung des Dialogs und Stärkung der Vernetzung
von Ehrenamtlichen, Geflüchteten, Initiativen, Unternehmen, Vereinen, Verbänden und
Interessierten.
Für uns ist klar: Diese Aufgabe stellt das Land und die Kommunen vor gigantische
Herausforderungen. Aber es besteht kein Zweifel, dass wir den Menschen die bestmögliche
Aufnahme, Versorgung und Integration ermöglichen. Denn die meisten von denen, die bei uns
Schutz suchen, werden auch hier bleiben.
Deshalb gilt es, als Land Hessen, in den Kommunen und durch bürgerschaftliches Engagement
konsequent und nachhaltig alles zu tun, damit diesen Menschen die Ankunft und der Verbleib in
Hessen würdig und rasch ermöglicht wird.
Wir begrüßen, dass die Landesregierung große Anstrengungen für eine möglichst gute
Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge unternimmt und bereits eine Fülle zusätzlicher
Maßnahmen ergriffen hat:
- Damit die hier ankommenden Menschen eine menschenwürdige Unterkunft finden, hat das Land
Hessen zusätzlich zur Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen insgesamt 21 weitere
Erstaufnahmeeinrichtungen und Außenstellen eröffnet. Die Zahl von 6.000
Erstaufnahmeplätzen, die bis Anfang 2015 eingerichtet wurden, wurde damit in den letzten
Monaten mehr als verdoppelt, um der Vielzahl Hilfesuchender gerecht zu werden. Bis
Jahresende sollen 19.000 Erstaufnahmeplätze eingerichtet werden. Eine vorübergehende
Unterbringung in Zelten war bei den derzeitigen hohen Zugangszahlen innerhalb eines sehr
kurzen Zeitraums leider unumgänglich. Es müssen jetzt alle Möglichkeiten genutzt werden,
um dies nicht dauerhaft nötig zu machen – insbesondere nicht im Winter. In den
Erstaufnahmeeinrichtungen werden die dort ankommenden Flüchtlinge medizinisch versorgt
und können ihren Asylantrag stellen. Angesichts weiter steigender Flüchtlingszahlen hat
das Land im kommenden Jahr 630 Millionen Euro für die Versorgung und Unterbringung von
Geflüchteten in den Entwurf des Landeshaushalts eingestellt – trotz Schuldenbremse. Schon
jetzt zeichnet sich ab, dass diese Summe in den Haushaltsberatungen weiter erhöht werden
muss.
- Die Gebietskörperschaften erhalten seit Anfang 2015 eine um 15 Prozent erhöhte
Geldzuweisung für die Unterbringung, Versorgung und Betreuung jedes Flüchtlings. Im Laufe
dieses Jahres will sich das Land mit den Kommunen auf eine weitere Anpassung der
Pauschalen verständigen.
- Die bereits zur Verfügung gestellten Bundesmittel zur Unterbringung und Versorgung von
Flüchtlingen werden vom Land eins zu eins an die Landkreise und kreisfreien Städte
weitergegeben. Die Kommunen erhalten somit zusätzliche 36,9 Millionen Euro für die
Unterbringung und Versorgung vor Ort.
- Frauen und Kinder sind leider besonders häufig von sexualisierter oder
geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen. Auch auf der Flucht erleiden sie Missbrauch und
Vergewaltigung. Um ihnen Ruhe und besonderen Schutz zu gewährleisten, wurden in Darmstadt
350 Plätze nur für Frauen und Kinder reserviert. Auch in den Außenstellen Wetzlar,
Marburg und Limburg gibt es eine gesonderte Unterbringung nur für Frauen.
- In Hessen kommen im Bundesvergleich besonders viele minderjährige Jugendliche an, die
ohne ihre Eltern auf der Flucht sind. Sie erfahren hier besondere Fürsorge und werden in
eigenen Einrichtungen pädagogisch und sozial betreut. In Jugendhilfeeinrichtungen in den
Kommunen wird ihnen eine auf ihre individuelle Lage zugeschnittene Hilfeleistung zuteil.
Mit dem Landesprogramm InteA erhalten nun auch junge Menschen ab 16 Jahren, die nicht
mehr der Schulpflicht unterliegen, eine Chance auf Bildung und die Möglichkeit, einen
Schulabschluss zu machen.
- Für Frauen und Kinder aus dem Nordirak und Syrien, die Opfer geschlechtsspezifischer oder
sexueller Gewalt geworden sind, prüft die Landesregierung, wie sie das bereits bestehende
Sonderkontingent des Landes Baden-Württemberg erweitern kann. So sollen die betroffenen
Frauen und Kinder direkt nach Hessen kommen, um hier Schutz und Hilfe zu finden.
- Durch die GRÜNE Regierungsbeteiligung wurde es geflüchteten Menschen, die keine
gesicherte Aufenthaltsgenehmigung bekommen und sich in einer besonders schwierigen Lage
befinden, leichter gemacht, einen Härtefall zu beantragen. Mit der Reform der
Härtefallkommission können nun auch Menschen, die aufgrund von Alter, Krankheit,
Behinderung oder aus familiären Gründen nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt
selbst zu finanzieren, als Härtefälle anerkannt werden. Dafür braucht es nunmehr nur noch
eine einfache Mehrheit in der Härtefallkommission.
- Im Oktober und Dezember diesen Jahres wird von der Landesregierung ein Asylkonvent
einberufen. Hier sollen die dringenden Fragen der Flüchtlingspolitik und die
Integrationspolitik des Landes gemeinsam mit Verbänden und Experten diskutiert werden.
Dies ist auch eine Weiterführung der Gespräche der im Februar 2015 von der
Landesregierung einberufenen Asylkonferenz.
- Im Rahmen des kommunalen Investitionsprogramms wird ergänzend zu den vorhandenen
Programmen ein zusätzliches Wohnungsprogramm mit einem Volumen von 230 Millionen Euro
aufgelegt, um für Menschen mit geringem Einkommen und Flüchtlinge zusätzlichen
bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Wir wollen allen hier ankommenden Menschen mit Offenheit, Mitgefühl und Solidarität begegnen.
Der menschenwürdige Umgang mit Schutzsuchenden ist und bleibt Leitfaden unserer Asyl- und
Flüchtlingspolitik. Dies ist angesichts der Herausforderungen für einen menschenwürdigen Umgang
mit geflüchteten Menschen nur ein Anfang, weitere Schritte müssen folgen.
Der Willkommenskultur muss die Integrationskultur folgen. Die Flüchtlinge, die auf absehbare
Zeit oder für immer hier bleiben, brauchen schnellen Zugang zu Sprach- und Integrationskursen
sowie zum Arbeitsmarkt.
Die GRÜNEN Hessen setzen sich deshalb weiterhin u.a. für Folgendes ein:
- Den Ausbau der Unterstützungsangebote für Flüchtlingskinder an unseren Schulen
- die aktive Umsetzung der EU-Richtlinie für besonders Schutzbedürftige (Kranke, Alte,
Traumatisierte, Menschen mit Behinderung);
- die Evaluierung des Landesaufnahmegesetzes und Anpassung an bundespolitische
Neuregelungen;
- die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Erstaufnahme mit Ärzteteams und so weit
möglich psychologischer Betreuung der Flüchtlinge.
- Nach der Erstversorgung sollen eine dauerhafte Perspektive und eine Integration in die
Gesellschaft schnellstmöglich sichergestellt werden. Deshalb sollen Programme zum Erwerb
von Sprache und Qualifikationen sowie zur Integration in den Arbeitsmarkt für diese
Zielgruppe verstärkt, fokussiert und genutzt werden.
- Die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sollen bei ihrer Arbeit unterstützt und
koordiniert werden.
- Wir setzen uns für eine bundesweite Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge ein
und werden gleichzeitig landespolitische Handlungsmöglichkeiten nutzen. Hier ist
Nordrhein-Westfalen als erstes Flächenland mit der Gesundheitskarte für Flüchtlinge
bundespolitisch Vorbild – hieran sollten wir uns orientieren, um die
Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge zu verbessern.
- Für erwachsene Flüchtlinge sollen in den Kommunen beispielsweise über die
Volkshochschulen Sprachkurse angeboten werden.
- Um die schulische und berufliche Integration zu erleichtern, sollen möglichst früh die
Qualifikationen von Flüchtlingen abgefragt und anerkannt werden.
- Stärkung der psychotraumatischen Hilfen für Flüchtlinge .
Von der Bundesregierung erwarten wir:
- Strukturelle und dauerhafte finanzielle Beteiligung des Bundes an den Kosten der
Flüchtlingsunterbringung:Es kann nicht sein, dass der Bund bei steigenden
Flüchtlingszahlen nur feste Beträge anbietet. Auch die Mitarbeiterzahlen des Bundesamts
für Migration und Flucht müssen endlich kontinuierlich an die aktuellen Entwicklungen
angepasst werden.
- Klare Zusagen des Bundes bei den Sprach- und Integrationskursen: Der Willkommenskultur
muss die Integrationskultur folgen. Viele Flüchtlinge werden lange oder für immer in
unserem Land bleiben. Sie brauchen Unterstützung beim Lernen unserer Sprache und beim
Zurechtfinden in einem neuen, ihnen bislang fremden Land.
- Erleichterter Arbeitsmarktzugang: Es ist widersinnig, Fachkräftemangel zu haben, und das
Potenzial von qualifizierten Flüchtlingen mit Bleibeperspektive nicht möglichst
frühzeitig zu nutzen und zu fördern
- Einwanderungsgesetz: Jenseits des Asylrechts braucht es klare und legale Wege zur
Einwanderung in unser Land.
- populistischen Tendenzen zu widerstehen: Sprüche, ideologische Debatten oder
Scheinlösungen helfen niemanden. So atmet der bekanntgewordene Referentenentwurf der
Bundesregierung zur Änderung des Asylrechts den Geist von Aktionismus, Sanktion und
Repression, statt die Länder und Kommunen bei ihren Aufgaben ausreichend zu unterstützen.
Auch löst die Debatte um eine Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten kein einziges real
vorhandenes Problem. Weder hat die bisherige Ausweitung die Zuwanderung aus den Balkan-
Ländern gestoppt, noch ist das Asylrecht das richtige Instrument, um die
Perspektivlosigkeit vieler Menschen in diesen Ländern zu ändern.
Vor dem Hintergrund der genannten Erwartungen enthalten die Vereinbarungen des Bund-Länder-
Flüchtlingsgipfels vom 24. September 2015 Licht und Schatten.
Wir haben den legalen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt, eine direkte Unterstützung der
Minderheiten auf dem westlichen Balkan und eine regelmäßige Überprüfung der so genannten
sicheren Herkunftsländer erkämpft. Wir haben damit faktisch den Einstieg in ein
Einwanderungsgesetz geschafft. Die Öffnung und Finanzierung von Integrationskursen,
Qualifizierungen für den Arbeitsmarkt, ein Wohnungsbauprogramm und eine dauerhafte, dynamische
und strukturellen Beteiligung des Bundes an den Kosten wurde vereinbart. Die von Teilen der
Union geplanten grundsätzlichen Verschärfungen des Asylrechts, konnten in wichtigen Teilen
abgewehrt werden. Vor allem wurden alle Angriffe auf das Grundrecht auf Asyl verhindert.
Es handelt sich jedoch um ein Paket, in dem auch Punkte enthalten sind, die grünen
Vorstellungen zuwiderlaufen. So sind Leistungskürzungen für Ausreisepflichtige oder weitere
sichere Herkunftsländer schwer tragbar. Und eine Reihe von Maßnahmen, die Bürokratie abgebaut
und damit Flüchtlinge, Behörden und Helfer entlastet hätten, waren partout gegen die Große
Koalition nicht durchsetzbar, etwa eine Altfallregelung oder die Abschaffung der
Vorrangprüfung.
Wir sehen uns in der Verantwortung, den Menschen, die zu uns vor Krieg und Verbrechen fliehen,
schnell eine Perspektive in unserer Gesellschaft zu geben. Den vielen Menschen, die ihnen
helfen, Unterstützung zu geben und die Kommunen und Organisationen in die Lage zu versetzen,
die große Aufgabe der Integration zu meistern.
Vor dem gesamten Hintergrund schließen wir uns der gemeinsamen Bewertung des GRÜNEN
Ministerpräsidenten, der GRÜNEN stellvertretenden Ministerpräsidentinnen und
Ministerpräsidenten sowie der Partei- und Fraktionsvorsitzenden der GRÜNEN im Bund an und sehen
in dem Paket eine tragfähige Grundlage für das weitere Gesetzgebungsverfahren.
Von Zeile 145 bis 146 einfügen:
- Um die schulische und berufliche Integration zu erleichtern, sollen möglichst früh die Qualifikationen von Flüchtlingen abgefragt und anerkannt werden.
Millionen Menschen sind aktuell auf der Flucht vor Krieg, Leid, Verfolgung und Hunger. Viele
davon sind Kinder. Die Bilder und Berichte in den Medien von Menschen auf der Flucht bewegen
uns GRÜNE zutiefst. Sie erinnern uns erneut daran, dass gerade der wohlhabende Teil der Welt in
der Verantwortung steht, diesen Menschen eine neue Heimat zu eröffnen – auch weil viele der
Konflikte auf dieser Welt mit der ungleichen Verteilung von Reichtum und Armut, der Art unserer
weltweiten Wirtschaftsweise oder unserem Handeln oder teilweise Nicht-Handeln in diesen Ländern
zu tun haben.
Auch in Hessen kommen Flüchtlinge aus aller Welt an, in den letzten Wochen besonders viele. Der
Anteil derer, die vor Krieg und Gewalt fliehen, hat sich deutlich erhöht. Waren es 2013 noch
8.688 Flüchtlinge, die nach Hessen kamen, so waren es von Januar bis Juli 2015 bereits 22.708
Menschen. Insgesamt werden im Jahr 2015 derzeit 58.000 Asylsuchende erwartet. Die Situation für
diese Menschen ist angespannt, ihnen muss sofortige Hilfe zuteil werden. Aber auch für die
Akteure, die sich in den Erstaufnahmeeinrichtungen und in den aufnehmenden Gemeinden und
Kreisen engagieren, ist die aktuelle Situation sehr fordernd.
Wir wollen, dass die hier ankommenden Menschen in Hessen willkommen geheißen werden. Menschen,
die vor Verfolgung, Krieg und Terror fliehen mussten, müssen zügig anerkannt werden. Wir
wollen, dass diese Menschen gut und sicher leben können und dass sie eine Perspektive für ihr
weiteres Leben entwickeln können. Wir wissen, dass viele dieser Menschen hier bleiben werden
und wir begreifen dies auch als Chance für unser Land.
Es kommen auch Menschen hierher, die in ihrem Land aufgrund der ökonomischen Situation keine
Perspektive für sich und ihre Familien mehr sehen. Auch sie versuchen aus individuell
verständlichen Gründen Asyl zu erhalten, weil ihnen kein anderer legaler Zuwanderungsweg nach
Mitteleuropa zur Verfügung steht. Auch wenn nicht alle Asylsuchenden auch einen Asylanspruch
haben ist für uns elementar, dass alle ein Recht darauf haben, menschenwürdig behandelt zu
werden. Eine Perspektive für diese Personengruppe liegt insbesondere in der sozialen und
wirtschaftlichen Verbesserung in ihren Herkunftsländern – für die auch Deutschland und Europa
Verantwortung tragen, sowie in einem für Deutschland überfälligen Einwanderungsgesetz.
In der aktuellen Situation sind alle Ebenen und Akteure gefragt, da anzupacken, wo Hilfe
benötigt wird. Auch das Land Hessen muss weiterhin zeigen, dass alles getan wird, um den
Schutzsuchenden die Hilfe zu geben, die sie benötigen.
Wir legen besonderen Wert darauf, dass die Ausländerbehörden bei der Vollstreckung der
Ausreisepflicht jeden Einzelfall dahingehend sensibel überprüfen, ob Abschiebungshindernisse
vorliegen oder eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung geboten erscheint. Wir setzen uns
für eine Aussetzung von Abschiebungen in Regionen ein, bei denen in den Wintermonaten für die
zurückkehrenden Flüchtlinge unzumutbare Härten entstehen würden. Durch eine solche Aussetzung
der Abschiebung und einem humanitär begründeten Bleiberecht soll sichergestellt werden, dass
Menschen vor einer die Lebensexistenz bedrohenden Diskriminierung geschützt werden. Dabei ist
insbesondere die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR)
und des Bundesverfassungsgerichts, wonach vonseiten des aufnehmenden Landes eine Zusicherung
für eine menschenwürdige und damit winterfeste Unterkunft vorliegen muss – insbesondere für
schutzbedürftige Gruppen (beispielsweise Familien mit Kindern unter 16 Jahren und Schwangere) –
zu beachten.
Die große Aufnahme- und Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung, das große Engagement vieler
freiwilliger Helferinnen und Helfer der Hilfsorganisationen sowie vieler weiterer
Ehrenamtlicher, der enorme Einsatz der zuständigen Behörden, die vielen Projekte und
Hilfsaktionen sind ein eindrucksvolles Zeichen der vorherrschenden Willkommenskultur. Wir sind
dankbar für das, was bereits geleistet wurde und wollen diesen Einsatz weiterhin stärken und
unterstützen. Der vom Landesverband für den 10. Oktober organisierte Flüchtlingskongress in
Wetzlar ist ein Schritt auf dem Weg zu einer Vertiefung des Dialogs und Stärkung der Vernetzung
von Ehrenamtlichen, Geflüchteten, Initiativen, Unternehmen, Vereinen, Verbänden und
Interessierten.
Für uns ist klar: Diese Aufgabe stellt das Land und die Kommunen vor gigantische
Herausforderungen. Aber es besteht kein Zweifel, dass wir den Menschen die bestmögliche
Aufnahme, Versorgung und Integration ermöglichen. Denn die meisten von denen, die bei uns
Schutz suchen, werden auch hier bleiben.
Deshalb gilt es, als Land Hessen, in den Kommunen und durch bürgerschaftliches Engagement
konsequent und nachhaltig alles zu tun, damit diesen Menschen die Ankunft und der Verbleib in
Hessen würdig und rasch ermöglicht wird.
Wir begrüßen, dass die Landesregierung große Anstrengungen für eine möglichst gute
Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge unternimmt und bereits eine Fülle zusätzlicher
Maßnahmen ergriffen hat:
- Damit die hier ankommenden Menschen eine menschenwürdige Unterkunft finden, hat das Land
Hessen zusätzlich zur Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen insgesamt 21 weitere
Erstaufnahmeeinrichtungen und Außenstellen eröffnet. Die Zahl von 6.000
Erstaufnahmeplätzen, die bis Anfang 2015 eingerichtet wurden, wurde damit in den letzten
Monaten mehr als verdoppelt, um der Vielzahl Hilfesuchender gerecht zu werden. Bis
Jahresende sollen 19.000 Erstaufnahmeplätze eingerichtet werden. Eine vorübergehende
Unterbringung in Zelten war bei den derzeitigen hohen Zugangszahlen innerhalb eines sehr
kurzen Zeitraums leider unumgänglich. Es müssen jetzt alle Möglichkeiten genutzt werden,
um dies nicht dauerhaft nötig zu machen – insbesondere nicht im Winter. In den
Erstaufnahmeeinrichtungen werden die dort ankommenden Flüchtlinge medizinisch versorgt
und können ihren Asylantrag stellen. Angesichts weiter steigender Flüchtlingszahlen hat
das Land im kommenden Jahr 630 Millionen Euro für die Versorgung und Unterbringung von
Geflüchteten in den Entwurf des Landeshaushalts eingestellt – trotz Schuldenbremse. Schon
jetzt zeichnet sich ab, dass diese Summe in den Haushaltsberatungen weiter erhöht werden
muss.
- Die Gebietskörperschaften erhalten seit Anfang 2015 eine um 15 Prozent erhöhte
Geldzuweisung für die Unterbringung, Versorgung und Betreuung jedes Flüchtlings. Im Laufe
dieses Jahres will sich das Land mit den Kommunen auf eine weitere Anpassung der
Pauschalen verständigen.
- Die bereits zur Verfügung gestellten Bundesmittel zur Unterbringung und Versorgung von
Flüchtlingen werden vom Land eins zu eins an die Landkreise und kreisfreien Städte
weitergegeben. Die Kommunen erhalten somit zusätzliche 36,9 Millionen Euro für die
Unterbringung und Versorgung vor Ort.
- Frauen und Kinder sind leider besonders häufig von sexualisierter oder
geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen. Auch auf der Flucht erleiden sie Missbrauch und
Vergewaltigung. Um ihnen Ruhe und besonderen Schutz zu gewährleisten, wurden in Darmstadt
350 Plätze nur für Frauen und Kinder reserviert. Auch in den Außenstellen Wetzlar,
Marburg und Limburg gibt es eine gesonderte Unterbringung nur für Frauen.
- In Hessen kommen im Bundesvergleich besonders viele minderjährige Jugendliche an, die
ohne ihre Eltern auf der Flucht sind. Sie erfahren hier besondere Fürsorge und werden in
eigenen Einrichtungen pädagogisch und sozial betreut. In Jugendhilfeeinrichtungen in den
Kommunen wird ihnen eine auf ihre individuelle Lage zugeschnittene Hilfeleistung zuteil.
Mit dem Landesprogramm InteA erhalten nun auch junge Menschen ab 16 Jahren, die nicht
mehr der Schulpflicht unterliegen, eine Chance auf Bildung und die Möglichkeit, einen
Schulabschluss zu machen.
- Für Frauen und Kinder aus dem Nordirak und Syrien, die Opfer geschlechtsspezifischer oder
sexueller Gewalt geworden sind, prüft die Landesregierung, wie sie das bereits bestehende
Sonderkontingent des Landes Baden-Württemberg erweitern kann. So sollen die betroffenen
Frauen und Kinder direkt nach Hessen kommen, um hier Schutz und Hilfe zu finden.
- Durch die GRÜNE Regierungsbeteiligung wurde es geflüchteten Menschen, die keine
gesicherte Aufenthaltsgenehmigung bekommen und sich in einer besonders schwierigen Lage
befinden, leichter gemacht, einen Härtefall zu beantragen. Mit der Reform der
Härtefallkommission können nun auch Menschen, die aufgrund von Alter, Krankheit,
Behinderung oder aus familiären Gründen nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt
selbst zu finanzieren, als Härtefälle anerkannt werden. Dafür braucht es nunmehr nur noch
eine einfache Mehrheit in der Härtefallkommission.
- Im Oktober und Dezember diesen Jahres wird von der Landesregierung ein Asylkonvent
einberufen. Hier sollen die dringenden Fragen der Flüchtlingspolitik und die
Integrationspolitik des Landes gemeinsam mit Verbänden und Experten diskutiert werden.
Dies ist auch eine Weiterführung der Gespräche der im Februar 2015 von der
Landesregierung einberufenen Asylkonferenz.
- Im Rahmen des kommunalen Investitionsprogramms wird ergänzend zu den vorhandenen
Programmen ein zusätzliches Wohnungsprogramm mit einem Volumen von 230 Millionen Euro
aufgelegt, um für Menschen mit geringem Einkommen und Flüchtlinge zusätzlichen
bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Wir wollen allen hier ankommenden Menschen mit Offenheit, Mitgefühl und Solidarität begegnen.
Der menschenwürdige Umgang mit Schutzsuchenden ist und bleibt Leitfaden unserer Asyl- und
Flüchtlingspolitik. Dies ist angesichts der Herausforderungen für einen menschenwürdigen Umgang
mit geflüchteten Menschen nur ein Anfang, weitere Schritte müssen folgen.
Der Willkommenskultur muss die Integrationskultur folgen. Die Flüchtlinge, die auf absehbare
Zeit oder für immer hier bleiben, brauchen schnellen Zugang zu Sprach- und Integrationskursen
sowie zum Arbeitsmarkt.
Die GRÜNEN Hessen setzen sich deshalb weiterhin u.a. für Folgendes ein:
- Den Ausbau der Unterstützungsangebote für Flüchtlingskinder an unseren Schulen
- die aktive Umsetzung der EU-Richtlinie für besonders Schutzbedürftige (Kranke, Alte,
Traumatisierte, Menschen mit Behinderung);
- die Evaluierung des Landesaufnahmegesetzes und Anpassung an bundespolitische
Neuregelungen;
- die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Erstaufnahme mit Ärzteteams und so weit
möglich psychologischer Betreuung der Flüchtlinge.
- Nach der Erstversorgung sollen eine dauerhafte Perspektive und eine Integration in die
Gesellschaft schnellstmöglich sichergestellt werden. Deshalb sollen Programme zum Erwerb
von Sprache und Qualifikationen sowie zur Integration in den Arbeitsmarkt für diese
Zielgruppe verstärkt, fokussiert und genutzt werden.
- Die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sollen bei ihrer Arbeit unterstützt und
koordiniert werden.
- Wir setzen uns für eine bundesweite Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge ein
und werden gleichzeitig landespolitische Handlungsmöglichkeiten nutzen. Hier ist
Nordrhein-Westfalen als erstes Flächenland mit der Gesundheitskarte für Flüchtlinge
bundespolitisch Vorbild – hieran sollten wir uns orientieren, um die
Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge zu verbessern.
- Für erwachsene Flüchtlinge sollen in den Kommunen beispielsweise über die
Volkshochschulen Sprachkurse angeboten werden.
- Um die schulische und berufliche Integration zu erleichtern, sollen möglichst früh die
Qualifikationen von Flüchtlingen abgefragt und anerkannt werden.
- Stärkung der psychotraumatischen Hilfen für Flüchtlinge .
Von der Bundesregierung erwarten wir:
- Strukturelle und dauerhafte finanzielle Beteiligung des Bundes an den Kosten der
Flüchtlingsunterbringung:Es kann nicht sein, dass der Bund bei steigenden
Flüchtlingszahlen nur feste Beträge anbietet. Auch die Mitarbeiterzahlen des Bundesamts
für Migration und Flucht müssen endlich kontinuierlich an die aktuellen Entwicklungen
angepasst werden.
- Klare Zusagen des Bundes bei den Sprach- und Integrationskursen: Der Willkommenskultur
muss die Integrationskultur folgen. Viele Flüchtlinge werden lange oder für immer in
unserem Land bleiben. Sie brauchen Unterstützung beim Lernen unserer Sprache und beim
Zurechtfinden in einem neuen, ihnen bislang fremden Land.
- Erleichterter Arbeitsmarktzugang: Es ist widersinnig, Fachkräftemangel zu haben, und das
Potenzial von qualifizierten Flüchtlingen mit Bleibeperspektive nicht möglichst
frühzeitig zu nutzen und zu fördern
- Einwanderungsgesetz: Jenseits des Asylrechts braucht es klare und legale Wege zur
Einwanderung in unser Land.
- populistischen Tendenzen zu widerstehen: Sprüche, ideologische Debatten oder
Scheinlösungen helfen niemanden. So atmet der bekanntgewordene Referentenentwurf der
Bundesregierung zur Änderung des Asylrechts den Geist von Aktionismus, Sanktion und
Repression, statt die Länder und Kommunen bei ihren Aufgaben ausreichend zu unterstützen.
Auch löst die Debatte um eine Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten kein einziges real
vorhandenes Problem. Weder hat die bisherige Ausweitung die Zuwanderung aus den Balkan-
Ländern gestoppt, noch ist das Asylrecht das richtige Instrument, um die
Perspektivlosigkeit vieler Menschen in diesen Ländern zu ändern.
Vor dem Hintergrund der genannten Erwartungen enthalten die Vereinbarungen des Bund-Länder-
Flüchtlingsgipfels vom 24. September 2015 Licht und Schatten.
Wir haben den legalen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt, eine direkte Unterstützung der
Minderheiten auf dem westlichen Balkan und eine regelmäßige Überprüfung der so genannten
sicheren Herkunftsländer erkämpft. Wir haben damit faktisch den Einstieg in ein
Einwanderungsgesetz geschafft. Die Öffnung und Finanzierung von Integrationskursen,
Qualifizierungen für den Arbeitsmarkt, ein Wohnungsbauprogramm und eine dauerhafte, dynamische
und strukturellen Beteiligung des Bundes an den Kosten wurde vereinbart. Die von Teilen der
Union geplanten grundsätzlichen Verschärfungen des Asylrechts, konnten in wichtigen Teilen
abgewehrt werden. Vor allem wurden alle Angriffe auf das Grundrecht auf Asyl verhindert.
Es handelt sich jedoch um ein Paket, in dem auch Punkte enthalten sind, die grünen
Vorstellungen zuwiderlaufen. So sind Leistungskürzungen für Ausreisepflichtige oder weitere
sichere Herkunftsländer schwer tragbar. Und eine Reihe von Maßnahmen, die Bürokratie abgebaut
und damit Flüchtlinge, Behörden und Helfer entlastet hätten, waren partout gegen die Große
Koalition nicht durchsetzbar, etwa eine Altfallregelung oder die Abschaffung der
Vorrangprüfung.
Wir sehen uns in der Verantwortung, den Menschen, die zu uns vor Krieg und Verbrechen fliehen,
schnell eine Perspektive in unserer Gesellschaft zu geben. Den vielen Menschen, die ihnen
helfen, Unterstützung zu geben und die Kommunen und Organisationen in die Lage zu versetzen,
die große Aufgabe der Integration zu meistern.
Vor dem gesamten Hintergrund schließen wir uns der gemeinsamen Bewertung des GRÜNEN
Ministerpräsidenten, der GRÜNEN stellvertretenden Ministerpräsidentinnen und
Ministerpräsidenten sowie der Partei- und Fraktionsvorsitzenden der GRÜNEN im Bund an und sehen
in dem Paket eine tragfähige Grundlage für das weitere Gesetzgebungsverfahren.