Veranstaltung: | Landesmitgliederversammlung Limburg 2015 |
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Tagesordnungspunkt: | 6. Anträge |
Status: | Angenommen |
Eingereicht: | 26.09.2015, 15:43 |
Antragshistorie: | Version 1 |
6.14neu: Lokal und global - Fluchtursachen bekämpfen
Die Landesmitgliederversammlung möge beschließen:
Der Landesverband Hessen bringt folgende Resolution auf die nächste Bundesdelegiertenkonferenz
ein:
Lokal und global – Fluchtursachen bekämpfen
Weltweit sind zurzeit über 60 Millionen Menschen auf der Flucht – mehr als die Hälfte davon
sind Kinder. Nur ein Bruchteil von ihnen kommt nach Deutschland. Die meisten suchen in Ländern
Zuflucht, die von unserem Wohlstand nur träumen können. Wir Grüne sind stolz, dass die
BürgerInnen dieses Land die Ankommenden willkommen heißen und klar zeigen, dass Rassismus und
andere menschenfeindlichen Ideologien in Deutschland keinen Platz haben.
Trotz unseres Wohlstandes bedeutet die Aufnahme von vielen zehntausend Menschen für uns eine
große Herausforderung. Deswegen muss der Bund jetzt mit dem überwältigenden Engagement der
Menschen in diesem Land gleichziehen: Die Bundesregierung muss nachhaltige Strukturen schaffen;
innenpolitisch, aber auch außenpolitisch. Denn die neuen Ausmaße von Vertreibung und Flucht
zeigen, dass Innen- und Außenpolitik heute weniger denn je voneinander getrennt werden können.
ExpertInnen haben seit Jahren vor einer Verschärfung der Lage gewarnt. Anders als von der
Bundeskanzlerin behauptet, kam die Steigerung der Flüchtlingszahlen weltweit und in der EU
nicht überraschend. Und genauso wenig sollte es uns überraschen, wenn sich daran vorerst nichts
ändert. Menschen fliehen aus zerfallenden Staaten, vor Gewalt, Armut und den Auswirkungen des
Klimawandels. Diese Probleme lassen sich weder mit höheren Zäunen, noch mit Patrouillenbooten
lösen. Sie sind das Ergebnis vielschichtiger politischer Prozesse, die nur bedingt steuerbar
sind. Komplexe Konfliktlagen, wie in Jemen oder in Syrien lassen sich nicht kurzfristig
befrieden und die Folgen des Klimawandels werden nicht durch einen einzelnen Vertrag gestoppt
werden.Wer suggeriert, durch die Veränderung einiger weniger Parameter die Fluchtursachen rasch
abmildern oder gar beseitigen zu können, lügt sich in die eigene Tasche. Wir werden die offenen
Arme möglichst aller EuropäerInnen noch lange brauchen.
Die Verhältnisse zwingen die Menschen in die Flucht. An diesen Verhältnissen kann Deutschland
einiges ändern und die ihnen zu Grunde liegenden Probleme sind oft seit langem offenbar. Dazu
zählen die Abhängigkeit der Industrieländer von fossilen Brennstoffen und die verheerenden
Folgen des Klimawandels, die Fehler unserer Landwirtschafts-, Handels- und Entwicklungspolitik
sowie unser Umgang mit autoritären Staaten und deren Aufrüstung durch Waffenexporte. Wir müssen
uns bewusst werden, dass die alltäglichen Entscheidungen von uns und der globalen
Mittelschicht, Entscheidungen über Ernährung, Bekleidung oder Transportmitteln, weitgreifende
Auswirkungen haben, die auch zu den Fluchtursachen beitragen. Wenn wir uns dessen bewusst
werden, können wir eine Welt gestalten, in der mehr Menschen in Frieden und Wohlstand leben und
die Achtung ihrer Menschenrechte gewährleistet ist.
Staaten stabilisieren, Menschenrechte stärken, anders wirtschaften
Menschen begeben sich nur dann auf die Flucht, wenn ihre Lebenssituation unerträglich wird.
Dazu tragen politische Repression, Korruption und die daraus entstehende politische und
wirtschaftliche Ungerechtigkeit erheblich bei. Deswegen brauchen wir eine langfristig geplante
und an der Einhaltung menschenrechtlicher Standards ausgerichtete Außen- und
Entwicklungspolitik. Bisher setzen EU und Bundesregierung im Angesicht von Krisen und
Umbruchsprozessen aber auf plakative und kurzsichtige Politik. In Ägypten beispielsweise
unterstützen die Bundesregierung und viele andere europäische Staaten unter der Maßgabe der
Stabilität nach einem kurzen demokratischen Aufbruch das autoritäre Regime Al-Sisis, dessen
Politik radikalen IslamistInnen den Nachwuchs in die Arme treibt. In anderen Regionen fehlt es
an vernetztem außenpolitischen Denken und Handeln. Es ist zwar einerseits richtig, Äthiopien
bei seiner wirtschaftlichen Entwicklung zu unterstützen, auch wenn dort eine alles andere als
rechtsstaatlich agierende Regierung im Amt ist. Das aber darf andererseits nicht dazu führen,
dass man, wie die Bundesregierung, die Augen vor den Folgen der äthiopischen Regionalpolitik
verschließt. Denn diese liefert u.a. einen wichtigen Vorwand für die Repressionsmaschine in
Eritrea. Hier muss Deutschland konsequenter und engagierter handeln. Dazu gibt es bislang keine
Ansätze. Im Gegenteil, es liegen mittlerweile Afrika-Konzepte aus drei verschiedenen
Bundesministerien vor, die allesamt innovative Politikansätze vermissen lassen.
Aber auch unsere eigene Art zu wirtschaften hat einen direkten Einfluss auf die Fluchtursachen
vieler Menschen. Darüber müssen wir uns noch klarer werden und vor allem unser Konsumverhalten
ändern. Beispiele gibt es viele, aber eines zeigt das Problem doch sehr exemplarisch: Wenn wir
Hühnchen essen, für die in Brasilien Regenwald gerodet wurde um Genmais anzubauen, welcher in
der Großgeflügelfabrik im Niedersachsen verfüttert wurde, damit wir eine dickgemästete
Hühnerbrust essen, während die Restteile des Tieres nach Westafrika exportiert werden, wo sie
billiger verkauft werden als lokal angebautes Fleisch und somit die Lebensgrundlage der Bauern
vor Ort zerstören, dann haben wir auch ganz konkret zu den Fluchtursachen beigetragen. Ganz zu
schweigen von den europäischen High-Tech-Trawlern, die ganze Küstenlinien leerfischen und damit
systematisch die Existenz der einheimischen Fischer zerstören.
Internationale Konfliktlösung vorantreiben
Die meisten Fliehenden aber werden von Kriegen in ihrer Heimat vertrieben. Seit dem Ende des
Zweiten Weltkrieges wurden auf internationaler Ebene verschiedenste Mechanismen entwickelt,
Kriege zu beenden oder gar nicht erst ausbrechen zu lassen. Die Vielzahl von Konflikten, vor
denen Menschen zurzeit flüchten, scheint dennoch unüberschaubar und kaum zu bewältigen. Das ist
aber kein Grund den Kopf in den Sand zu stecken. Statt vermehrt in Koalitionen der Willigen zu
agieren und den Wiederaufbau von Staaten und Regionen zu vernachlässigen, sollte Deutschland
die internationalen Mechanismen zur Konfliktlösung wieder stärken. Dazu gehört die stärkere
Beteiligung an den Bemühungen der UN - auch der UN-Friedensmissionen - ebenso, wie der aktive
Einsatz für globale Abrüstungsinitiativen. Denn die UN sind nur so stark, wie ihre Mitglieder
es erlauben. Sie können ihrem Auftrag für den Frieden in der Welt nur gerecht werden – im
Jemen, in der Ukraine, oder in Syrien, wenn alle Mitglieder ihren Beitrag leisten. Deutschland
muss hier mit gutem Beispiel vorangehen.
Auch im Bereich der Krisenprävention gibt es noch Nachholbedarf. Wenn Konflikte gar nicht erst
eskalieren, werden Menschen nicht gezwungen zu fliehen. Der deutschen Außenpolitik aber fehlt
es an geeigneten Strukturen und dem politischen Willen, um Konflikte frühzeitig zu erkennen und
präventiv zu agieren. Der Ressortkreis zivile Krisenprävention, der Aufbau vernetzter und
intelligenter Frühwarnsysteme und die zivile Reaktionsfähigkeit müssen gestärkt werden. Auch
das ist Fluchtursachenbekämpfung. Letztendlich ist auch ein langer Atem notwendig, um Staaten
nach Konflikten wieder aufzurichten. Das geht immer nur von innen, aber die Zivilgesellschaften
dieser Länder brauchen oft punktuelle Unterstützung, die manchmal Jahrzehnte dauern kann.
Klimaschutz aktiv vorantreiben, Folgen von Klimawandel abmildern
Die Klimakrise verstärkt viele der beschriebenen Probleme weltweit. Sie belastet unsere
ökonomischen, sozialen und politischen Systeme. Siedlungsräume und die Existenzgrundlage vieler
Menschen sind durch die schleichenden Folgen des Klimawandels und durch Extremwetterereignisse
akut bedroht. Insbesondere dort, wo die Situation ohnehin schon angespannt ist, führt die
Veränderung des Klimas zu einer Verschärfung von bestehenden Konflikten. Am stärksten trifft es
meist die ärmsten und fragilsten Regionen dieser Welt, die schon jetzt nur über schlechte
Instrumente der Konfliktregelung verfügen. Dennoch reagiert die Bundesregierung nur langsam und
viel zu zaghaft – was den Klimaschutz im eigenen Land angeht, genauso wie bei ihren
internationalen Ambitionen.
Unser Ziel muss es sein, den Klimawandel so gut es noch geht zu verlangsamen und seine Folgen
zu begrenzen. Dazu gehört eine Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad durch verbindliche
Reduktionsziele, die Etablierung von Straf- und Ausgleichszahlungen und ein völkerrechtlich
verbindliches Abkommen. Hierfür müssen wir uns auf internationaler Ebene stark machen.
Dennoch müssen wir den Klimawandel als Realität akzeptieren. Deshalb ist es unsere Aufgabe,
seine negativen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Effekte auf die Stabilität von
Staaten und Regionen abzumildern: Dafür braucht es verlässliche politische Institutionen
inklusive der notwendigen demokratischen Kontrolle und eine Zivilgesellschaft, die Transparenz,
öffentliche Diskussion und den Ausgleich zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen
Interessengruppen. Daher müssen wir mithelfen, derartige Institutionen und Mechanismen vor
allem international aufzubauen und zu stärken.
Rüstungsexporte stoppen
Die gegenwärtige Rüstungsexportpolitik Deutschlands und vieler europäischer Verbündeter trägt
aber auch ganz direkt zur Verschärfung von Konflikten bei. Besonders die jahrzehntelang
betriebene, verheerende Politik des Verkaufs von Lizenzen zur Kleinwaffenproduktion an
Drittstaaten hat millionenfaches Leid verursacht. Mittlerweile hat die Bundesregierung auch
offiziell eingeräumt, dass sie über den Verbleib dieser Waffen keinerlei Kontrolle hat. Viele
der blutigsten Konflikte der Welt werden mit Gewehren ausgetragen, die in Deutschland
entwickelt wurden. Trotzdem genehmigt die Bundesregierung noch immer den Export von
Zulieferteilen für deren Produktion.
Am deutlichsten wird die verheerende Rüstungsexportpolitik derzeit im Jemen. Mit Saudi-Arabien,
den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar führen dort drei Länder einen blutigen Krieg
gegen die Zivilbevölkerung, denen europäische Firmen Waffen im Milliardenumfang verkauft haben.
Europäische Kampfflugzeuge werfen die Bomben ab, die ein bitterarmes Land zerstören,
jahrzehntelange europäische Entwicklungszusammenarbeit zunichte machen, Menschen ins Elend
stürzen und ein einzigartiges Weltkulturerbe zu zerstören drohen. Auch vermeintlich harmlose
Rüstungsgüter wie Patrouillenboote, von denen Deutschland zahlreiche an Saudi-Arabien verkauft
hat, zeigen hier ihr verheerendes Potenzial: Sie überwachen die Seeblockade, die es verhindert,
dass Nahrungsmittel und Treibstoff die notleidende Bevölkerung erreichen.
Aufnahmeländer und Flüchtlingsorganisationen stärken
Die Vielzahl der Flüchtlinge kommt nicht nach Deutschland, sondern flieht innerhalb ihrer
Länder oder in Nachbarstaaten, in der Hoffnung bald in ihre Heimat zurückkehren zu können. Die
Länder, die die meisten Flüchtlinge aufnehmen, sind oft selbst fragil: Pakistan, Libanon,
Kenia, Äthiopien oder Jordanien. Wenn wir sie nicht langfristig unterstützen, drohen sich
bestehende Konfliktherde auszuweiten. Die Flüchtlinge würden erneut vertrieben und viele neue
Vertriebene kämen dazu.
Die bisherige Hilfe der internationalen Gemeinschaft und der Bundesregierung hat mit der
rasanten Entwicklung der humanitären Krisen nicht mitgehalten: meistens kommt zu wenig Hilfe
und sie kommt zu spät. In Jordanien beispielsweise leben über 80% der Flüchtlinge in Gemeinden
und nicht in Flüchtlingslagern. Auf eine Gemeinde mit zweihundert Einwohnern kommen dann nicht
selten noch einmal zweihundert Flüchtlinge. Das führt zwangsläufig immer wieder zu Spannungen.
Diese steigern sich, je länger die Flüchtlinge bleiben.
Bestehende Konzepte der Humanitären Hilfe sind auf die große Anzahl und lange Dauer der
Flüchtlingskrisen kaum eingestellt. Kurzfristige Projektfinanzierung und Notfallhilfe wird den
langfristigen Aufgaben nicht gerecht. Ein System, das auf eine Versorgung in Lagern
ausgerichtet ist, muss sich dringend anpassen, um die aufnehmenden Familien und Gemeinden zu
unterstützen. Das passiert leider viel zu langsam. Aber auch die etablierte Hilfe stößt immer
wieder an Grenzen. Das World Food Programm muss die schon minimalen Nahrungsmittelrationen
kürzen, weil ihnen die Finanzierung fehlt. Viel zu oft werden Schulen geschlossen, weil die
Hilfsorganisationen die Lehrer nicht mehr bezahlen können. Für eine notwendige psycho-soziale
Versorgung der Menschen ist fast nie Geld da. Deswegen ist es dringend notwendig, dass die
vielen engagierten Hilfsorganisationen, die sich vor Ort für die Menschen einsetzen,
zuverlässig finanziert werden. Vor allem aber fehlt es am Gehör für die aufnehmenden Staaten.
Wer helfen will, muss diese Länder nach ihren Bedürfnissen fragen und ihnen Austausch auf
gleicher Augenhöhe anbieten – und keine Almosen.
Perspektiven eröffnen – in den Heimatländern und in Deutschland
Ein Teil derer, die kommen, sind aber auch MigrantInnen und nicht auf der Suche nach Asyl. Sie
wollen in Deutschland arbeiten, als Saisonarbeiter, als PflegerInnen oder als Ärzte. Viel zu
häufig aber fallen sie durchs Raster, weil unser Land noch immer kein funktionierendes
Einwanderungssystem und –gesetz hat. Andere würden lieber in ihrer Heimat bleiben und dort
arbeiten, finden aber trotz guter Qualifikation keine Anstellung, weil die lokale Wirtschaft am
Boden liegt, auf Grund von Korruption, Vetternwirtschaft oder Rassismus. Diesen Menschen - ob
aus dem Westbalkan oder aus Subsahara-Afrikakommend – müssen wir Perspektiven eröffnen, in
ihrer Heimat und bei uns in Deutschland. Die Bundesregierung verweigert sich in beiden
Bereichen: bei der Erarbeitung legaler Einwanderungswege und bei der Entwicklung einer
ambitionierten und nachhaltigen Politik der EU in ihrer Nachbarschaft.
Demut und ein langer Atem
Die große Koalition ist angetreten, um international mehr Verantwortung zu übernehmen. Das ist
bei der derzeitigen Zuspitzung zahlreicher Konflikte dringend notwendig. Die wichtigste
Verantwortung ist diejenige mitzuhelfen, dass Menschen ihre Heimat nicht verlassen müssen.
Hierzu können wir in Deutschland sehr viel beitragen – lokal wie global. Das geht weder sofort,
noch wird es einfach werden. Viel mehr braucht es Demut vor der Größe der Aufgabe, den Willen
zur Veränderung und vor allem einen sehr langen Atem. Wir müssen unsere bisherige Politik einer
kritischen Bestandsaufnahme unterziehen und uns langfristig engagieren. Auch das ist ein Teil
unserer Verantwortung für die Welt.