Veranstaltung: | Digitale Landesmitgliederversammlung |
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Tagesordnungspunkt: | 7. Anträge (ehemals Top 6, entsprechend Anträge 6.1, 6.2, usw) |
Antragsteller*in: | Landesvorstand GRÜNE JUGEND Hessen |
Status: | Angenommen |
Eingereicht: | 22.10.2020, 09:30 |
6.6: Rechtsextreme Strukturen in der Polizei und Gesellschaft zerschlagen
Die Landesmitgliederversammlung möge beschließen:
In den letzten Wochen sind immer mehr Details über die Drohbriefe des selbsternannten „NSU 2.0“
ans Licht gekommen. Anfang September wurde bekannt, dass der „NSU 2.0“ die neue Wohnanschrift
der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz verwendet, die für die Öffentlichkeit gesperrt
ist. Insgesamt gingen bundesweit rund einhundert Drohbriefe an Politiker*innen, Anwält*innen,
Journalist*innen, Kabarettist*innen, weitere Personen und Organisationen, die sich in
verschiedenen Kontexten bereits gegen Rechtsextremismus eingesetzt haben. Dass die Drohbriefe
vor allem an Frauen* gingen, deckt sich mit den Erkenntnissen von Forscher*innen, die
Antifeminismus als elementaren Teil von rechtsextremistischem Gedankengut ausgemacht haben. Bei
der Versendung der Drohbriefe wurden in drei Fällen in Hessen missbräuchlich abgefragte Daten
aus Polizeicomputern in Wiesbaden und Frankfurt verwendet. Seit 2 Jahren dauern nun die
Ermittlungen schon an, mittlerweile laufen 25 Ermittlungsverfahren. Neben der illegalen Abfrage
von Polizeicomputern in Bezug auf rechtsextreme Drohschreiben werden auch in anderen
Bundesländern immer wieder neue WhatsApp-Gruppen öffentlich, in denen Polizist*innen
rechtsextremistische und rassistische Inhalte austauschen.
Erste Ermittlungen haben den Schluss nahegelegt, dass die Reduzierung auf Einzelfälle der
Komplexität des Sachverhaltes nicht gerecht wird. Der Verdacht auf ein bundesweites Netzwerk
von rechtsextremistischen Polizist*innen und Unterstützer*innen steht im Raum. Es wird
versucht, insbesondere Frauen* des öffentlichen Lebens gezielt einzuschüchtern und damit zum
Schweigen zu bringen. Das lassen wir nicht zu! Die Betroffenen müssen umfassende
Schutzmaßnahmen bekommen, bevor die Akteur*innen die Möglichkeit haben, den Drohungen Taten
folgen zu lassen.
Gerade wenn Sicherheitsbehörden an extrem rechten Strukturen beteiligt sind, muss umfassend und
unverzüglich dafür Sorge getragen werden, dass schonungslos aufgeklärt wird und dass die
handelnden Akteur*innen nicht die Möglichkeit bekommen, ihre Taten fortzusetzen. Extrem rechte
Strukturen in Sicherheitsbehörden müssen sowohl in Hessen, als auch in ganz Deutschland
vollständig zerschlagen werden. Wir begrüßen den im Juli beschlossenen Maßnahmenkatalog zur
hessischen Polizei. Die Verbesserung der Datensicherheit und insbesondere die Schaffung des
Amtes des*der Bürger- und Polizeibeauftragen sowie die Einsetzung einer Expertenkommission zur
Weiterentwicklung des Leitbildes für die hessische Polizei und zur Evaluierung bisheriger und
zukünftiger Maßnahmen sind wichtige Schritte zur Wiederherstellung des Vertrauens in die
Sicherheitsbehörden.
Darüber hinaus stellen wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen fest:
- Wir benötigen eine Versachlichung der Debatte durch Wissenschaft! Wir brauchen
regelmäßige wissenschaftliche Studien zum Arbeitsumfeld sowie zu politischen
Einstellungen und Rechtsextremismus in der Polizei, dem Verfassungsschutz und der
Bundeswehr. Nach der ersten Hessischen Studie setzen wir uns nun für deren
Weiterentwicklung und bundesweit vergleichbare Standards ein.
- Wir müssen zivilgesellschaftliches Engagement gegen rechte Gewalt stärken!
Aussteiger*innenprogramme für Neonazis, antifaschistische Dokumentations- und
Rechercheprojekte, Initiativen und gemeinnützige Stiftungen sowie Beratungsstellen für
Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt werden vom Land Hessen weiterhin dauerhaft
und umfassend finanziell gefördert. Dabei streben wir perspektivisch eine höhere
Finanzierung von demokratiefördernden Initiativen sowie ein Demokratiefördergesetz an.- Wir müssen Problemreviere besonders unter die Lupe nehmen! Wenn Probleme in
einzelnen Einheiten oder Dienststellen besonders gehäuft auftreten, müssen unter
Anderem durch Auflösung von Dienstgruppen strukturelle Konsequenzen folgen. Darüber
hinaus möchten wir weitere Stellen schaffen, um Disziplinarverfahren noch
konsequenter und schneller zu führen, um sicherzustellen, dass jedem Verdacht von
menschenfeindlichen Ideologien im Polizeidienst nachgegangen werden kann und
konsequent verfolgt wird. Jedoch können dienstrechtliche Maßnahmen nicht die
Strafgerichtsbarkeit ersetzen. Deswegen ist für uns klar, dass es notwendig ist,
extrem rechte Straftaten innerhalb der Polizei zu ermitteln und die Täter*innen vor
Gericht zu bringen.
- Wir müssen Problemreviere besonders unter die Lupe nehmen! Wenn Probleme in
- Wir müssen Fehlerkultur fördern! Wie schon im Abschlussbericht des NSU
Untersuchungsausschusses des Hessischen Landtages gefordert, muss die Fehlerkultur in der
Polizei und in allen Sicherheitsbehörden ausgebaut werden. Die Umsetzung der
Handlungsempfehlungen ist ein guter Anfang. Korpsgeist darf einer Aufarbeitung von
Missständen nicht im Weg stehen. Die Einsatznachbereitung und Reflektion des
polizeilichen Handelns müssen sich wandeln, Whistleblower*innen in der Polizei dürfen
keine Nachteile durch ihr Handeln erfahren.
- Wir müssen antirassistische Kompetenzen ausbauen! In der polizeilichen Aus-, Fort- und
Weiterbildung müssen die Inhalte zu Anti-Rassismus und gesellschaftlicher Vielfalt für
alle Beamt*innen weiter ausgebaut werden. Polizeibeamt*innen müssen durch Aus- und
Fortbildung für die Phänomene politischer, rassistischer, fremdenfeindlicher oder
sonstiger menschenverachtender Beweggründe sensibilisiert werden. Wir begrüßen, dass
diese Themen und der Komplex NSU als Ausbildungsinhalt im Rahmen des
Reakkreditierungsprozesses des Bachelor-Studiengangs weiter vertieft werden. In all
unseren Sicherheitsbehörden müssen diese Kompetenzen gefestigt werden.
- Wir müssen die Polizei diverser aufstellen! Es muss sichergestellt werden, dass alle
Geschlechter und Menschen mit Migrationsgeschichte angemessen in unseren
Sicherheitsbehörden vertreten sind – auch in Führungspositionen. BIPoCs und Menschen mit
Migrationsgeschichte müssen gezielt angesprochen werden, um homogene Strukturen in der
Polizei zu durchbrechen und die Polizei inklusiver und diverser aufzustellen. Zuletzt
haben deutlich über 20 Prozent der neu eingestellten Polizeibeamt*innen einen
Migrationshintergrund. Diese Quote möchten wir weiter steigern.
- Wir müssen Diskriminierung in Behörden und Polizei unterbinden! Der Anfang September in
den Hessischen Landtag eingebrachte Gesetzesentwurf über eine*n unabhängige*n Bürger-und
Polizeibeauftragte*n ist ein guter Schritt hin zu mehr Transparenz, Kommunikation und
unabhängiger Aufklärung von Missständen in den Behörden. Wir möchten die Arbeit der
Stelle regelmäßig evaluieren und bei Bedarf weitere Kompetenzen für die Arbeit des*der
Polizeibeauftragten ergänzen. Darüber hinaus wollen wir die Einführung eines hessischen
Antidiskriminierungsgesetzes prüfen.
Es besteht kein Zweifel: Rechtes Gedankengut hat in unseren Sicherheitsbehörden nichts zu
suchen. Wir werden dies jetzt und in Zukunft mit allen rechtsstaatlichen Möglichkeiten
bekämpfen, denn antifaschistische Grundwerte sind das Bollwerk unserer Demokratie.
Unterstützer*innen
- Lukas Schauder (KV Main Taunus Kreis)