Veranstaltung: | Landesmitgliederversammlung Limburg 2015 |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | 6. Anträge |
Antragsteller*in: | Landesvorstand der Grünen Jugend Hessen |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 14.09.2015, 23:59 |
6.13: Antimuslimischen Rassismus auf allen Ebenen bekämpfen!
Die Landesmitgliederversammlung möge beschließen:
Die offene Benennung antimuslimisch motivierter Gewalttaten beim Wort:
Um antimuslimischen Rassismus offen anzugehen und zu bekämpfen, müssen wir nun mehr überhaupt
einsehen, dass ein spezifisch auf Muslim*innen gerichteter Hass wirklich existiert und ihn
dementsprechend beim Namen nennen. Nach dem Mord an Marwa Al-Sherbini und dem Mordversuch an
ihrem Mann Elwy Okaz wurde erst nach Protesten muslimischer und migrantischer Gruppen und nach
internationaler Aufmerksamkeit von einer rechtsextremen Tat gesprochen, geschweige denn, dabei
der Terminus ''antimuslimischer Rassismus'' zu verwendet. Die Vorgeschichte des Mordanschlags,
in der der Täter mehrfach und vor verschiedenen Zeug*innen seinen „Hass auf Muslim*innen“
äußerte und dadurch aktenkundig wurde, wurde zunächst unterschlagen, dann verharmlost.
Antimuslimischer Rassismus ist präsent und als eine gefährliche Kategorie gruppenbezogener
Menschenfeindlichkeit einzuordnen. Erst wenn dies erkannt wird, ist es möglich, antimuslimische
Strukturen aufzudecken.
Die Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird aufgefordert, auf Bundesebene darauf
hinzuwirken, dass
- die Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags hinsichtlich der
grundlegenden Überarbeitung des Themenfeldkatalogs PMK unter Hinzuziehung von Wissenschaft und
Zivilgesellschaft umgesetzt wird.
- eine eigene Erfassung antimuslimisch motivierter Straftaten unter dem Themenfeld der
Hasskriminalität eingeführt wird. Soweit eine bundesweit einheitliche Regelung nicht möglich
sein sollte, ist die Landesregierung aufgefordert, zu prüfen, ob eine eigene Statistik für
Hessen umsetzbar ist
Gedenken an die Opfer antimuslimischer Straftaten
Aus der Perspektive der Betroffenen ist die Anerkennung der politischen Dimension der Gewalt
von großer Bedeutung. Denn ihnen ist sehr bewusst, dass ihre Angehörigen nicht zufällig zum
Angriffsziel wurden, sondern stellvertretend für eine ganze Gruppe von Menschen, die nicht in
das Weltbild von Rechtsextremen und/oder rassistischen Personen passen. Um auf die fatalen
Folgen von antimuslimischem Rassismus aufmerksam zu machen und den Opfern antimuslimischer
Gewalttaten zu gedenken, sollen regelmäßige Gedenkveranstaltungen stattfinden.
Der vom Rat muslimischer Studierender und Akademiker*innen initiierte "Tag gegen
Antimuslimischen Rassismus", der am Todestag von Marwa El-Sherbini, dem 01. Juli stattfindet,
ist ein gelungenes Beispiel hierfür.
- Die Aufhebung des Kopftuchverbots
BÜNDNIS 90/Die Grünen Hessen setzt sich dafür ein, das Kopftuchverbot in Hessen ausnahmslos
abzuschaffen.
Begründung
Antimuslimischer Rassismus ist in Deutschland kein neues Phänomen. Er ist für viele Muslim*innen hierzulande, sowie in anderen Teilen Europas, eine Realität und alltägliche Erfahrung. Antimuslimischer Rassismus äußert sich in vielfältiger Form durch Abwertung des Islam und Ausgrenzung von Muslim*innen. Während Deutungsmuster des biologistischen Rassismus versuchen, die vermeintliche Minderwertigkeit einer Gruppe anhand biologischer Merkmale wie Hautfarbe zu begründen, handelt es sich beim antimuslimischen Rassismus um einen kulturalisierten Rassismus. Dabei werden zwar die gleichen Mechanismen wirksam, jedoch funktionieren sie hier über kulturelle Merkmale. Antimuslimische Denk- und Deutungsmuster werden nicht nur von Rechtsextremen, sondern vor allem auch von sogenannten "Meinungsmacher*innen" artikuliert und über neue und alte Medien verbreitet, reproduziert und zugespitzt.
So verbreiten Menschen des öffentlichen Lebens wie Thilo Sarrazin oder Hans-Jürgen Irmer unter dem Deckmantel der sogenannten "Islamkritik" ungehindert ihre widerlichen Ressentiments gegenüber Menschen muslimischen Glaubens.
Wissenschaftler*innen der Uni Bielefeld zogen 2012 nach der Langzeitstudie "Deutsche Zustände" gar das Fazit: »Islamfeindlichkeit ist konsensfähig, auch bei jenen, bei denen es bisher nicht zu erwarten war.« Der Anstieg antimuslimischer Ressentiments vollziehe sich nicht am vermeintlich rechten Rand der Gesellschaft, sondern mittendrin und werde von allen Schichten der Gesellschaft vertreten.
Dies zeigt sich besonders deutlich, wenn die Bewegung "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (PEGIDA) Zehntausende auf die Straßen Deutschlands mobilisiert oder wenn, wie zuletzt in Heidenau, "besorgte Bürger" mit gewalttätigen Ausschreitungen gegen ein Asylbewerber*innenheim auf sich aufmerksam machen. Hoffnungsvoll stimmt uns, dass in vielen Großtstädten wie Frankfurt oder Köln sich ebenso tausende Bürger*innen gegen Ableger der Pegida-Bewegung auf die Straßen gestellt haben.
Antimuslimische Straftaten
"Islamkritik" ist salonfähig und bietet den Nährboden für verheerende Straftaten.
So häufen sich Meldungen von Anschlägen gegen Moscheen und islamische Einrichtungen. Auch forderte der antimuslimisch motivierte Rassismus in den vergangenen Jahren immer wieder Todesopfer. Die wahrscheinlich prominentesten Beispiele hierfür sind die NSU-Mordserie sowie der Mord an der ägyptischen Handballnationalspielerin und Pharmazeutin Marwa Al-Sherbini. Die damals noch schwangere Frau wurde inmitten eines Dresdner Gerichtssaals von einem Neo-Nazi, der sie vorher als Terroristin und Islamistin bezeichnete, mit 18 Messerstichen ermordet. Hier zeigt sich wieder einmal: Rassismus tötet!
Eine eigene Erfassung antimuslimisch motivierter Straftaten
Im Abschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) haben sich alle Fraktionen der des Bundestags auf politische Handlungsempfehlungen im Bereich der Sicherheitsbehörden, der Justiz und der Prävention gegen Rechtsextremismus geeinigt. Eine Empfehlung bezieht sich dabei auf das Themenfeld der politisch motivierten Kriminalität (PMK), das nach Ansicht des Untersuchungsausschusses unter Hinzuziehung von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft grundlegend überarbeitet werden muss. Die PMK-Statistik kann jedoch keine umfassenden Lagebilder ersetzen. Sie dient in erster Linie polizeilichen Zwecken der Strafverfolgung und muss immer im Zusammenhang mit weiteren Faktoren, wie einzelnen Ereignissen, der Entwicklung der rechtsextremen Szene oder gesellschaftlicher Debatten betrachtet werden. Eine möglichst genaue Erfassung der politisch motivierten Kriminalität ist deshalb wichtig. Die Forderung nach einer Ergänzung des Themenfeldkatalogs zur politisch motivierten Kriminalität um antimuslimische Straftaten wird seit vielen Jahren von zivilgesellschaftlichen Initiativen im Bereich des Antirassismus und auch von muslimischen Gemeinden erhoben. Im Definitionssystem der politisch motivierten Kriminalität werden antimuslimische Straftaten unter dem Thema Hasskriminalität erfasst, aber nicht gesondert benannt, wie etwa Straftaten aufgrund von Antisemitismus, Rassismus oder gegen die sexuelle Orientierung. Für eine Statistik, die möglichst genau die Realität politisch motivierter Kriminalität erfassen soll, wäre eine gesonderte Erfassung antimuslimischer Straftaten sinnvoll. Der Landtag in NRW hat vergangenes Jahr die Einführung einer solchen Kriminalstatistik verabschiedet.
Kopftuchverbot
Die Behauptung, der Islam unterdrücke Frauen, wird in vielen Debatten über den Islam bemüht. Gewalt gegen Frauen in muslimischen Communities wird nicht etwa durch Gewalt im Geschlechterverhältnis (die es leider immer noch in allen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten gibt) erklärt, sondern es wird ein religiöser bzw. kultureller Ursprung der Tat konstruiert. In Debatten über das Kopftuchtragen im öffentlichen Dienst wird die Behauptung, das Kopftuch symbolisiere die Unterdrückung der Frau im Islam vorgetragen. Dabei scheint es völlig unerheblich zu sein, dass nach den bisherigen empirischen Untersuchungen alles dafür spricht, dass Frauen sich nahezu in allen Fällen selbstbestimmt für das Tragen des Kopftuchs entscheiden. Hier zeigt sich ein Moment des Rassismus ganz deutlich: Den Betroffenen wird die Definitionsmacht abgesprochen; durch die Definition des Charakters der als „anders“ Markierten definieren Mehrheitsangehörige auch sich selbst als Gegenmodell.
Im März diesen Jahres ist nach einer überraschenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes die Debatte um das Kopftuchverbot erneut entflammt. Das neue Gerichtsurteil besagt, "dass ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen mit deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) nicht vereinbar ist."
Konkret wird hier auf das nordrhein-westfälische Schulgesetz Bezug genommen, das äußere religiöse Bekundungen mit Berufung auf die staatliche Neutralität verbietet und als Privilegierung zugunsten christlich-abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen konzipiert ist.
Bis vor kurzem galt das Kopftuchverbot in acht von 16 Bundesländern.
Es untersagt Lehrkräften das Tragen religiöser Symbole, weshalb Lehrerinnen und Dozentinnen mit Kopftuch in acht Bundesländern nicht arbeiten dürfen. Diese Regulierungen sind zwar in ihrem Wortlaut neutral formuliert, richten sich jedoch hauptsächlich gegen das muslimische Kopftuch.
Die Bundesländer Hessen und Berlin gehen noch weiter und verbieten allen Beamtinnen das Tragen des Kopftuchs. Letztlich stellt es ein staatliches Berufsverbot für sie da. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass es darüber hinaus auch große Strahlkraft in die Privatwirtschaft und in den öffentlichen Dienst hat. Das geht soweit, dass viele Schülerinnen keinen Praktikumsplatz für das verpflichtende Schulpraktikum bekommen.
Es kann nicht sein, dass kopftuchtragende Frauen auf dem Arbeitsmarkt einer systematischen Diskriminierung ausgesetzt werden. Ein solch sexistisches und rassistisches Verhalten darf nicht geduldet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem letzten Urteil einen großen Schritt für die Gleichstellung muslimischer Frauen auf dem Arbeitsmarkt getan. Nun müssen die entsprechenden Gesetze in den Ländern geändert werden. Das Schulgesetz in NRW wurde unter einer grünen Bildungsministerin bereits dementsprechend geändert. Auch die hessische Landesregierung sollte das Thema auf die Agenda nehmen und die entsprechenden Gesetze mit dem Ziel der Gleichberechtigung von muslimischen Frauen auf dem Arbeitsmarkt prüfen und ändern.
Von Klein an Anti-Muslimischen Rassismus angehen.
Kinder werden nicht mit Hass oder Angst gegenüber Muslim*innen und dem Islam geboren, sondern gerade in den letzten Jahren war Islamfeindlichkeit Teil einer ständigen Sozialisation. Gerade mit Begegnungs und Bildungsarbeit kann bereits in frühen Jahren die Herausbildung und Verfestigung von Stereotypen verhindert werden. Kommunnen und Schulen können die Sensibiliserung der Schüler*innen zu diesen Themen beispielsweise mit interkulturellen Projektwochen, Austauschen, öffentlichen Diskussionsveranstaltungen, Besuchen von religiösen Einrichtungen, etc unterstützen. Auch der inter-religiöse Austausch zwischen den Reliionsgemeinschaften kann auf diesem Weg unterstützt werden.
Unterstützer*innen
- Thorben Sämann (KV Lahn-Dill)
- Phillip Krassnig (KV Limburg-Weilburg)
- Sarah von Hagen (KV Waldeck-Frankenberg)
- Ginan Osman (KV Marburg-Biedenkopf)