Veranstaltung: | Landesmitgliederversammlung Frankfurt 2019 |
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Tagesordnungspunkt: | 6. Anträge |
Antragsteller*in: | Klaus-Dieter Grothe (KV Gießen) |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 18.04.2019, 09:41 |
6.2: Seenotrettung als humanitäre Verpflichtung - solidarischen Kommunen die Aufnahme von Geflüchteten ermöglichen
Die Landesmitgliederversammlung möge beschließen:
Seenotrettung als humanitäre Verpflichtung - solidarischen Kommunen die Aufnahme von
Geflüchteten ermöglichen
Das Recht auf Leben und Sicherheit ist ein fundamentales Recht – auch auf dem Meer. Die NGOs
vor Ort helfen Menschen in Not, wo Staaten es nicht tun.
Solange sich auf EU-Ebene kein Fortschritt in den Verhandlungen abzeichnet, müssen die nicht-
staatlichen Seenotrettungs-Organisationen unterstützt werden, statt sie mit haltlosen
Anschuldigungen zu überziehen und ihre Rettungsmissionen zu behindern.
Und es gilt auch, den Kommunen bei der Umsetzung ihres Anliegens, aus Seenot gerettete
Geflüchtete bei sich aufzunehmen, von Landesseite aus beizustehen. Die Solidarität von
aufnahmebereiten Städten und Gemeinden muss gefördert werden.
Die Integration und Versorgung der Geflüchteten liegt in der Verantwortung von Ländern und
Kommunen, sodass die aus ihrer Mitte entstehenden Initiativen ernst zu nehmen und zu
unterstützen sind. Ferner ist von Seiten der Landesregierung nachdrücklich auf die
Bundesregierung hinzuwirken, sich auf EU-Ebene für eine schnelle Einigung für die Seenotrettung
einzusetzen. Wir dürfen es nicht länger zulassen, dass Rettungsschiffe mit dringend zu
versorgenden Geflüchteten an Bord oft tagelang vor den Küsten der Mittelmeerstaaten ausharren
müssen, bis endlich die Einfahrt in einen sicheren Hafen genehmigt wird. Statt des bisher
praktizierten „ship-by-ship-approachs“, der von einer schleppenden und gleichzeitig chaotischen
ad-hoc-Aufnahme-Prozedur durch einzelne EU-Staaten geprägt ist, brauchen wir ein
unkompliziertes, pragmatisches und allgemein akzeptiertes Verfahren. Solange jedoch keine
europäische Lösung gefunden ist, muss die zivilgesellschaftliche Rettung von in Seenot
geratenen Geflüchteten gestattet werden.
Wir fordern die Fraktion im Landtag auf, folgende Initiativen in der Landesregierung zu
ergreifen:
1. die Einrichtung eines Landesaufnahmeprogramms zu beantragen, das die Möglichkeiten der
Aufenthaltsgewährung nach § 23 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AufenthG für Seenotgerettete nutzt und
ausschöpft.
2. die Landesregierung aufzufordern, bei der Bundesregierung darauf hinzuwirken, eine baldige,
menschenrechtsbasierte Lösung auf EU-Ebene herbeizuführen, die eine schnelle und effiziente
Rettung, Aufnahme und Verteilung von Geflüchteten aus der Seenotrettung garantiert.
Begründung
Seenotrettung als humanitäre Verpflichtung - solidarischen Kommunen die Aufnahme von Geflüchteten ermöglichen
Mehr als 68 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Die Gründe dafür sind vielfältig: Sie fliehen vor Verfolgung, vor Krieg, Gewalt und auch vor den Folgen des Klimawandels. Mehr als 40 Millionen Menschen sind Binnenvertriebene, die sich im eigenen Land auf der Flucht befinden. Diejenigen, die ihr Land verlassen, finden zum größten Teil Schutz in den Anrainerstaaten ihrer Herkunftsländer wie in der Türkei, Pakistan, Uganda, Libanon. Weniger als vier Prozent aller Geflüchteten macht sich auf den Weg nach Europa. V.a. für die Menschen aus den von Krieg und Diktatur betroffenen Ländern wie Eritrea, Südsudan und Somalia stellt sich dabei die Mittelmeerroute als einziger Weg dar. Obwohl sich 2018 insgesamt weniger Menschen zur Flucht über das Mittelmeer entschlossen haben, ist die Zahl der Ertrunkenen weiter angestiegen. Laut dem aktuellen UNHCR-Bericht ertranken im Jahr 2018 mindestens 2.275 Menschen, durchschnittlich sechs pro Tag. Auf der Fluchtroute zwischen Libyen und Europa starb jeder 15. Geflüchtete bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Die Dunkelziffer der Toten dürfte dabei weit höher sein. Dies macht das Mittelmeer erneut zur tödlichsten (See-)Fluchtroute der Welt.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht akzeptabel, dass die EU-Staaten und auch die Bundesregierung diesen unhaltbaren Zustand nur hinnehmen und aufgrund ihrer Untätigkeit für diese humanitäre Katastrophe mitverantwortlich sind. Infolgedessen ergreifen seit 2015 zivile Organisationen wie etwa „Sea-Eye“, „Sea Watch“, „Jugend Rettet e.V.“ „SOS Méditerranée/Ärzte ohne Grenzen“ und „Lifeline“ selber die Initiative, um Menschenleben auf dem Mittelmeer zu retten. Ohne staatliche Unterstützung und allein finanziert aus Spendengeldern, haben die Ehrenamtlichen bereits Zehntausende vor dem Ertrinken gerettet. Doch anstatt die zivilgesellschaftlichen Organisationen bei ihren Rettungsmissionen zu unterstützen, werden sie von staatlicher Seite aktiv an ihrer Arbeit gehindert. So wurde den meisten Schiffen bereits die Flagge entzogen, was einen Großteil der Rettungsmissionen mittlerweile unmöglich macht. Darüber hinaus hemmen Kriminalisierungs- und Diffamierungskampagnen das humanitäre Engagement der Rettenden.
Ein humanitärer Tiefpunkt im Kontext der Seenotrettung ist das Handeln von Italiens Innenminister Salvini. Zum wiederholten Male weigerte er sich, Schiffen mit aus Seenot Geretteten die Genehmigung zu erteilen, in einen italienischen Hafen einlaufen zu dürfen.
Während zivile Organisationen also aus eigenen Ressourcen versuchen Menschenleben zu retten, verharren die EU-Staats- und Regierungschefs in Untätigkeit und nehmen das zahlreiche Sterben auf dem Mittelmeer in Kauf, da sie sich nicht auf einen europäischen Verteilungsschlüssel für die aus Seenot Geretteten einigen können. Stattdessen wird bei jedem ankommenden Rettungsschiff in einem unerträglich langen Verfahren verhandelt, welcher Staat wie viele Gerettete aufnehmen soll. Gleichzeitig wurden die Einsätze der EU-Mission EUNAVFOR Med „Operation Sophia“, – benannt nach einem Kind, das im August 2015 auf einer deutschen Fregatte von einer somalischen Geflüchteten geboren wurde – deutlich zurückgefahren (2016 – 2017: 83 Einsätze, 2017 – 2018: 25 Einsätze). Ende März entschieden die EU-Mitgliedstaaten auf Druck Italiens, den Einsatz von Schiffen komplett einzustellen, es soll bis auf weiteres nur noch aus der Luft beobachtet werden. Während ihrer Einsätze rettete die Operation rund 45.000 Menschen vor dem Ertrinken. Diese Entwicklungen bestätigen, dass die Europäische Seenotrettung gescheitert ist.
Humanitäre Grundprinzipien einhalten – Menschenleben retten
Dabei ist insbesondere das Gebot, aus Seenot geretteten Menschen Schutz zu gewähren, in der maritimen Tradition tief verankert. So verpflichtet Artikel 98 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen alle Schiffe dazu, jeder Person, die auf See in Lebensgefahr angetroffen wird, Hilfe zu leisten. Dies gilt unabhängig vom seerechtlichen Status des Gewässers und unabhängig davon, ob die Notlage von den zu rettenden Personen „selbst oder schuldhaft“ herbeigeführt wurde.
Darüber hinaus stellt die Europäische Union mit der Charta der Grundrechte den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns und gründet sich auf den unteilbaren und universellen Werten der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität5. Dieses Selbstverständnis sollte allein schon Beweggrund genug sein, um die Rettung von in Seenot geratenen Menschen zu unterstützen oder sie wenigstens nicht aktiv zu behindern.
Zudem unterliegen EU-Staaten nach Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Anti-Folter-Konvention dem Non-Refoulement-Grundsatz. Demnach darf kein Geflüchteter ohne Prüfung der Schutzbedürftigkeit in ein Land ausgewiesen werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit bedroht ist. Dies schließt eine Zurückführung von Geflüchteten nach Libyen, wie sie aktuell von der EU betrieben wird, eindeutig aus. Mit der Zurückführung werden die Menschen wieder in die Konzentrationslager gebracht, die von Milizen organisiert werden, um Geld zu erpressen. Sie werden unter erbärmlichen Haftbedingungen in völlig überfüllen Zellen festgehalten, der Zugang zu medizinischer Versorgung und ausreichender Nahrung wird ihnen verwehrt. Zudem berichten Überlebende dieser Lager von systematischer Folter und Misshandlungen wie sexualisierter Gewalt, schweren Schlägen, Sklaverei und Erpressung. Die EU ist hier gefordert, sich auf ihre humanitären Werte zurückzubesinnen und dieser menschenverachtenden Praxis endlich Einhalt zu gebieten.
Zahlreiche Kommunen und zivile Akteure werden aktiv
Die desaströse Situation der Seenotrettung auf dem Mittelmeer und das damit verbundene Schicksal von tausenden Geflüchteten wollen viele Akteure in ganz Deutschland nicht länger tatenlos hinnehmen.
In Hessen setzten bereits die Städte Marburg, Kassel und Wiesbaden ein Zeichen für die Entkriminalisierung der Seenotrettung und erklären sich solidarisch als „Sichere Häfen“ bereit, ihre bestehenden Ressourcen und Infrastrukturen zu nutzen, um aus Seenot gerettete Geflüchtete über die eigene Aufnahmequote hinaus bei sich aufzunehmen.
Dieser Vorstoß der Kommunen sollte auch von Landesseite unterstützt werden, indem sie sich für die Einrichtung ein Landesaufnahmeprogramm gemäß §23 AufenthG einsetzt. So würde Kommunen die Möglichkeit eröffnet, Seenotgerettete bei sich aufnehmen zu können und ihnen eine Perspektive zu geben.
Es sei zum Schluß darauf hingewiesen, dass der Koaltionsvertrag zwischen CDU und Bündnis 90/Die Grünen vom 20.12.2018 auf Seite 27 die Auflage eines Landesaufnahmeprogramms vorsieht.
Unterstützer*innen
- Klaus-Dieter Grothe (KV Gießen)
- Anette Courtis (KV Main-Taunus)
- Simon Bogumil (KV Kassel-Stadt)
- Konstanze Küppers (KV Wiesbaden)
- Hans-Dieter Stübenrath (KV Gießen)
- Zena El Jaraan (KV Gießen)
- Joachim Grebe (KV Darmstadt)
- Jutta Gehrig (KV Frankfurt)
- Alexander Wright (KV Gießen)
- Tina Zapf (KV Frankfurt)
- Haluk Kaya (KV Main-Taunus)
- Fabian Mirold-Stroh (KV Gießen)
- Reinhard Bayer (KV Gießen)
- Gerda Weigel-Greilich (KV Gießen)
- Martin Klußmann (KV Gießen)
- Marcus Schmitt (KV Main-Taunus)
- Awet Tesfaiesus (KV Kassel-Stadt)