Veranstaltung: | Landesmitgliederversammlung Königstein 2019 |
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Tagesordnungspunkt: | 3. Anträge |
Antragsteller*in: | Martin Häusling (Schwalm-Eder) |
Status: | Angenommen |
Eingereicht: | 29.08.2019, 09:08 |
3.1neu: Mercosur stoppen – Fairhandel geht vor Freihandel!
Titel
Die Landesmitgliederversammlung möge beschließen:
Bündnis 90/ Die GRÜNEN Hessen lehnen das aktuelle Freihandelsabkommen mit den Staaten Paraguay,
Brasilien, Uruguay und Argentinien (Mercosur) in der vorliegenden Form ab. Wir brauchen eine
Umkehr im Denken: fairer Handel muss zentraler Bestandteil internationaler Handelsabkommen
werden. Der ökologisch-soziale Anspruch muss gerade heute in internationalen Verträgen im Fokus
stehen. Menschenrechte und Klimaziele lassen keinen Verhandlungsspielraum zu. In diesem
Abkommen, das zu den größten seiner Art zu zählen wäre, werden Umwelt- und Sozialstandards
praktisch komplett ausgeblendet oder gelten bestenfalls auf dem Papier, wenn sie ohne weitere
Ausführungen, Bestimmungen oder Sanktionen im Falle ihrer Missachtung genannt werden.
Ziel eines Freihandelsabkommen ist die Senkung von Handelsschranken zu Gunsten eines freien
Warenaustausches. Wir GRÜNE wollen jedoch auch ökologische und soziale Standards erhalten
beziehungsweise in internationalen Verträgen Geltung verschaffen. Fairer Handel sollte dem
alleinigen Ziel des Freihandels vorgezogen werden. Es kann Europa nicht egal sein, wie
vereinbarte Standards in Südamerika durchgesetzt werden. Wir importieren Gen-Soja und
Rindfleisch aus fragwürdigem Anbau, um dafür Autos zu exportieren. Und ignorieren die
zahlreichen sozialen und ökologischen Ziele, für die wir in Europa sehr hart ringen und die für
den Erhalt unseres Planeten unverzichtbar sind!
Der Mercosur-Vertrag beinhaltet jenseits der kurzen Nennung in der Präambel keine verbindlichen
Vereinbarungen zu Klima- und Umweltschutz, keine belastbaren Aussagen zu den Pariser
Klimazielen und auch keine Aussagen zu Arbeits- und Sozialstandards. Es werden keine
überprüfbaren Faktoren festgelegt, die die Einhaltung dieser Ziele einklagbar machen. Wir
machen eine Rolle rückwärts, wenn wir Freihandelsverträge abschließen, die nicht mal die
Mindeststandards erfüllen und unsere europäischen Ziele der Agrarwende lächerlich machen.
Brauchen wir noch mehr Gen-Soja und Rindfleisch? Brauchen wir zusätzliche Anreize für eine
Agrarindustrie in Südamerika, die Raubbau an Umwelt und Ressourcen betreibt?
Sowohl in Argentinien wie auch in Paraguay und Brasilien wird die agrarindustrielle Umwandlung
der Regen- und Trockenwälder nachdrücklich forciert. Eine Agrarindustrie, die im Cerrado in
Brasilien wie in der Pampa Argentiniens gewaltige Flächen mit Monokulturen überzieht. Es werden
Pestizide in der sechs- bis zehnfachen Menge wie in Europa ausgebracht. Viele dieser Pestizide
sind in Europa verboten. Umwelt und Menschen vor Ort leiden darunter extrem.
Zudem darf die EU nicht die Politik eines Rechtsextremisten wie Jair Bolsonaro in Brasilien
unterstützen. Ein Präsident, der die Aneignung von Flächen für die Agrarindustrie zum obersten
Ziel erklärt hat. Riesige Waldflächen werden aktuell legal und illegal gerodet. Und die
indigenen Einwohner*innen Brasiliens Stück für Stück entrechtet. Wir Europäer*innen sollten
keine politischen Systeme stärken, in denen homophobes und rassistisches Verhalten verherrlicht
und eine öko-vandalistische Politik begünstigt wird, die zugleich das lokale gesellschaftliche
Klima und das Weltklima bedroht.
Die Europäische Landwirtschaft steht trotz Subventionen unter enormem (Preis-)Druck, da sie
exportorientiert und damit an Weltmarktpreisen ausgerichtet ist. Das betrifft auch Hessen.
Zusätzlich zu den Importen aus den USA setzt das Mercosur-Abkommen besonders den europäischen
Rindfleischmarkt nicht nur in Irland und Frankreich sondern auch in den deutschen
Mittelgebirgslagen und damit auch in Hessen unter Druck. Gerade die im Mittelgebirge noch
häufig betriebene Weidehaltung als nachhaltigste Form der Fleischerzeugung, mit einer enorm
positiven Wirkung auf Klimaschutz und die Artenvielfalt (Grünland), wird so noch unrentabler
und könnte über kurz oder lang verschwinden.
Wir GRÜNE stehen für fairen Handel und sehen ökologisch-soziale Standards nicht als
Handelshemmnisse. Wir sollten bei internationalen Handelsabkommen Vorgaben und Regeln der
regionalen Ernährungssysteme ernst nehmen, wobei das „Recht auf Nahrung“ dabei maßgeblich ist.
Nahrungsmittel sind Güter von besonderem Wert: Eine Bevölkerung kann im Zweifel auf Autos
verzichten, aber nicht auf Nahrungsmittel oder eine intakte Umwelt. Die Folgen der
südamerikanischen Landwirtschaft müssen uns daher auch vor dem Recht auf Leben und Nahrung
interessieren. Wenn Menschen durch agrarindustrielle Anlagen die Lebensgrundlagen wie der
Zugang zu Wasser oder eine giftfreie Umgebung genommen werden, wenn indigene Bevölkerungsteile
entrechtet werden oder massive Umweltzerstörung betrieben wird, dann sind das Folgen, die
Europa nicht hinnehmen kann. Ein Handelsabkommen, dass verkürzt Autos gegen Gen-Soja und
Rindfleisch tauscht, muss die Folgen dieser Geschäfte für Umwelt und Klima sowie für die
Bevölkerung in der Partnerregion berücksichtigen. Das ist bei diesem Abkommen aktuell nicht der
Fall. Wir wollen die notwendige Transformation für eine klimagerechte Zukunft nicht durch den
globalen Wettbewerb um niedrige Standards untergraben lassen und den Raubbau an der Natur
weltweit beenden.
Bündnis 90/ Die GRÜNEN Hessen lehnen das sogenannte Mercosur-Abkommen in der vorliegenden Form
aus den oben genannten Gründen ab.
Begründung
In Brasilien werden aktuell pro Minute etwa drei Hektar Fläche gerodet. Allein im Juni 2019 wurden 920 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt und damit doppelt so viel wie im Juni 2018. Die Werte der brasilianischen Raumfahrtbehörde (Inpe) für Juli sind noch alarmierender, sie geben eine Steigerung von 278 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum an.[i] Meist war bisher von illegalen Bandrodungen die Rede.[ii] Doch aktuell legalisiert der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro persönlich das kriminelle Vorgehen. Und feuert eher den Vorsitzenden der Raumfahrtbehörde, als auf die Zahlen mit politisch klugen Ideen zu reagieren.[iii]
Seit Amtsantritt hat Bolsonaro den Hunger der Agrarindustrie nach Landfläche mit allen Mitteln bedient. Die Lobby der agrarindustriellen Landwirtschaft ist extrem mächtig in Brasilien und gehört neben den Evangelikalen zu den stärksten Unterstützern Bolsonaros. Sie ist die treibende Kraft bei Waldrodungen mittels gefälschter Flächeninbesitznahme. Auf riesigen Plantagen über tausende Quadratkilometer bauen Großgrundbesitzer Gen-Soja, Mais, Eukalyptus und Gen-Baumwolle an. Dafür wird aktuell der Cerrado, ein Trockenwald, der sich vom mittleren bis in den Nord-Osten Brasiliens zieht, systematisch erschlossen. Die Regenwälder im Amazonasgebiet geraten auch wieder zunehmend unter Druck. Mit der Waldvernichtung werden die dort seit langem Wohnenden und indigenen Einwohner mit Scheinbesitzurkunden vertrieben. Wasserkreisläufe werden zerstört, kostbare Naturräume und Artenvielfalt massiv vernichtet. Doch das Gen-Soja wird nicht nur exportiert, es wird auch mehr und mehr vor Ort „veredelt“. Die Fleischindustrie zählt allein in Mato Grosso, ein Bundesstaat im Cerrado und etwa 2,5 so groß wie Deutschland, aktuell mehr als 21 Millionen Rinder – bei circa 3,5 Millionen Einwohnern.
Die Folgen für Menschen, Umwelt und Klima spielen für Brasiliens Präsidenten keine Rolle. Wichtig ist nur, das wachsende Geschäft mit Agrargütern wie Gen-Soja, Rindfleisch und Co. Umweltstandards existieren in Brasilien durchaus, doch kontrolliert wird kaum. Seit dem Amtsantritt Bolsonaros wurden zudem viele Umweltstandards ausgesetzt. Laut der brasilianischen Gesellschaft für Agrarökologie sind knapp die Hälfte der 50 hauptsächlich in Brasilien eingesetzten Pestizide in den USA, Kanada oder Europa verboten. Fehlende Tierschutzstandards, die ungenügende Kontrolle der Umweltgesetze bzw. der völlige Freibrief, den Bolsonaro der ungebremsten Agrarproduktion einräumt, zeigen, dass die Behauptung der EU Kommission, Brasilien und Südamerika könnten oder wollten nach europäischem Standard liefern, letztlich blauäugig und naiv ist oder schlicht keine Rolle spielt, wenn es um die eigenen Exporte von Autos geht.
Insgesamt zeigt der brasilianische Präsident keinerlei Willen, bisher in Brasilien erreichtes Recht und Gesetz einzuhalten. So ignoriert Bolsonaro die Rechte der indigenen Bevölkerung nicht nur völlig was die Reservate und Schutzrechte angeht. Bolsonaro ruft öffentlich auf diese zu ignorieren, weil die indigenen Völker bereits zu viele Privilegien genössen. Und meint damit vor allem die ausgewiesenen Reservate. Circa 13 Prozent bislang meist unerschlossener Urwälder wurden den indigenen Völkern vom brasilianischen Staat zugesprochen. Bolsonaro ist das jedoch ein Dorn im Auge. Er will „In-Wert-Setzung“ um jeden Preis. Mit aggressiven Parolen heizt er die Stimmung gegen indigene Einwohner an. Goldgräber, Bauern und Holzarbeiter nutzen den Aufruf des Präsidenten um - legal oder illegal – das Land in Besitz zu nehmen und seine Ressourcen auf Kosten der indigenen, von Umwelt und Natur auszubeuten. Dabei werden lebensnotwendige Ressourcen der indigenen Einwohner vor Ort vernichtet und im weiteren Umland auch vergiftet. Dies halten wir für ein systematisches Vergehen gegen die Rechte der indigenen Bevölkerung.
Noch im Wahlkampf 2017 warnte die Wochenzeitung „Die Zeit“ vor einem möglichen Präsidenten Jair Bolsonaro: Er sei „ein Mann der äußersten Rechten, der mit übertriebenen polemischen Aussagen gerne die Rolle eines Politikclowns à la Donald Trump spiele. Rassismus, Homophobie, Sympathien für die Militärdiktatur und Folterknechte, offen vorgetragenes faschistisches Gedankengut: Bei Bolsonaro ist alles zu finden.“[iv] Heute muss man feststellen, dass dieser Mann eine gefährliche Bedrohung darstellt: in Brasilien für Schwule und Lesben ebenso wie für indigene Völker. Weltweit für Klima und Umwelt. Für Bolsonaro zählt ausschließlich Profit. Diplomatische Verwerfungen sind ihm dabei egal, ähnlich wie Trump.
Allein aus diesen Gründen ist das Freihandelsabkommen in der Form abzulehnen.
[i]https://www.sueddeutsche.de/politik/brasilien-bolsonaro-amazonas-1.4550598, Stand 16. Aug 2019
Unterstützer*innen
- Landesvorstand
- Boris Mijatovic (Kassel-Stadt)
- Nicole Maisch (Kassel-Stadt)
- Eva Raabe (Schwalm-Eder)
- Wolfgang Strengmann-Kuhn (Offenbach-Stadt)
Änderungsanträge
- Ä1 (Lukas Jäger (Darmstadt), Angenommen)