Veranstaltung: | Landesmitgliederversammlung Frankfurt 2019 |
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Tagesordnungspunkt: | 6. Anträge |
Antragsteller*in: | Klaus-Dieter Grothe (KV Gießen) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 08.05.2019, 11:52 |
6.7: Seenotrettung als humanitäre Verpflichtung und Geflüchteten aus Kriegs- und Krisengebieten Schutz gewähren
Die Landesmitgliederversammlung möge beschließen:
Das Recht auf Leben und Sicherheit ist ein fundamentales Recht – auch auf dem Meer. Die NGOs
vor Ort helfen Menschen in Not, wo Staaten es nicht tun.
Solange sich auf EU-Ebene kein Fortschritt in den Verhandlungen abzeichnet, müssen die nicht-
staatlichen Seenotrettungs-Organisationen unterstützt werden, statt sie mit haltlosen
Anschuldigungen zu überziehen und ihre Rettungsmissionen zu behindern.
Es ist eine unerträgliche Schande, dass tausende Menschen auf der Flucht nach Europa im
Mittelmeer ertrinken und es bislang keine europäische Lösung für das Thema Seenotrettung gibt.
Im Mittelmeer sind seit 2014 mehr als 18.000 Geflüchtete ertrunken. Die Route wird immer
gefährlicher seitdem Nichtregierungsorganisationen (NGOs) daran gehindert werden, Menschen zu
retten.
Wir fordern, folgende Initiativen zu ergreifen:
- Die Bundesregierung muss sich in der EU und bei den Mitgliedstaaten für den Aufbau eines
europäisch organisierten und finanzierten zivilen Seenotrettungssystems einsetzen.
- Die Bundesregierung muss sich für einen an humanitären und rechtsstaatlichen Grundsätzen
ausgerichteten Verteilmechanismus von allen aus Seenot geretteten Menschen einsetzen. Die
Geflüchteten müssen nach einem fairen System auf alle Länder der EU verteilt werden. Die
Staaten, in denen die Geflüchteten ankommen, dürfen mit der Aufnahme und Unterbringung
nicht alleine gelassen werden.
- Bis es zu einer solchen Lösung kommt, sollte auf europäischer Ebene eine „Koalition der
Willigen“ angestrebt werden, in der sich Staaten zur Aufnahme von Kontingenten
verpflichten, um die aufnehmenden Länder zu unterstützen und somit Flüchtlingen einen
sicheren Hafen zu gewähren.
- Die Bundesregierung sollte Teil dieser Koalition der Willigen sein. Mindestens sollte es
die Bundesregierung im Rahmen des § 23 Aufenthaltsgesetz aber ermöglichen, dass
Bundesländer oder Kommunen, die dazu bereit sind, Geflüchtete aufnehmen und ihnen ein
Asylverfahren zu ermöglichen, dies machen dürfen.
- Sollte diese zwingende rechtliche Voraussetzung vorliegen, sprechen wir uns dafür aus,
dass sich das Land Hessen daran beteiligt und sich die Landtagsfraktion innerhalb der
hessischen Koalition dafür einsetzt.
Hierzu soll von der Landtagsfraktion geprüft werden, ob das im Koalitionsvertrag vorgesehene
Landesaufnahmeprogramm dafür genutzt werden kann, im Resettlement-Verfahren in Zusammenarbeit
mit dem UNHCR Menschen aus den im Krieg in Libyen äußerst gefährdeten Lagern herauszuholen, um
so die Seenotrettung erst gar nicht notwendig zu machen oder ob es - wie ursprünglich geplant -
für andere vulnerable Gruppen genutzt werden sollte.
Begründung
Seenotrettung als humanitäre Verpflichtung - solidarischen Kommunen die Aufnahme von Geflüchteten ermöglichen
Mehr als 68 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Die Gründe dafür sind vielfältig: Sie fliehen vor Verfolgung, vor Krieg, Gewalt und auch vor den Folgen des Klimawandels. Mehr als 40 Millionen Menschen sind Binnenvertriebene, die sich im eigenen Land auf der Flucht befinden. Diejenigen, die ihr Land verlassen, finden zum größten Teil Schutz in den Anrainerstaaten ihrer Herkunftsländer wie in der Türkei, Pakistan, Uganda, Libanon. Weniger als vier Prozent aller Geflüchteten macht sich auf den Weg nach Europa. V.a. für die Menschen aus den von Krieg und Diktatur betroffenen Ländern wie Eritrea, Südsudan und Somalia stellt sich dabei die Mittelmeerroute als einziger Weg dar. Obwohl sich 2018 insgesamt weniger Menschen zur Flucht über das Mittelmeer entschlossen haben, ist die Zahl der Ertrunkenen weiter angestiegen. Laut dem aktuellen UNHCR-Bericht ertranken im Jahr 2018 mindestens 2.275 Menschen, durchschnittlich sechs pro Tag. Auf der Fluchtroute zwischen Libyen und Europa starb jeder 15. Geflüchtete bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Die Dunkelziffer der Toten dürfte dabei weit höher sein. Dies macht das Mittelmeer erneut zur tödlichsten (See-)Fluchtroute der Welt.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht akzeptabel, dass die EU-Staaten und auch die Bundesregierung diesen unhaltbaren Zustand nur hinnehmen und aufgrund ihrer Untätigkeit für diese humanitäre Katastrophe mitverantwortlich sind. Infolgedessen ergreifen seit 2015 zivile Organisationen wie etwa „Sea-Eye“, „Sea Watch“, „Jugend Rettet e.V.“ „SOS Méditerranée/Ärzte ohne Grenzen“ und „Lifeline“ selber die Initiative, um Menschenleben auf dem Mittelmeer zu retten. Ohne staatliche Unterstützung und allein finanziert aus Spendengeldern, haben die Ehrenamtlichen bereits Zehntausende vor dem Ertrinken gerettet. Doch anstatt die zivilgesellschaftlichen Organisationen bei ihren Rettungsmissionen zu unterstützen, werden sie von staatlicher Seite aktiv an ihrer Arbeit gehindert. So wurde den meisten Schiffen bereits die Flagge entzogen, was einen Großteil der Rettungsmissionen mittlerweile unmöglich macht. Darüber hinaus hemmen Kriminalisierungs- und Diffamierungskampagnen das humanitäre Engagement der Rettenden.
Ein humanitärer Tiefpunkt im Kontext der Seenotrettung ist das Handeln von Italiens Innenminister Salvini. Zum wiederholten Male weigerte er sich, Schiffen mit aus Seenot Geretteten die Genehmigung zu erteilen, in einen italienischen Hafen einlaufen zu dürfen.
Während zivile Organisationen also aus eigenen Ressourcen versuchen, Menschenleben zu retten, verharren die EU-Staats- und Regierungschefs in Untätigkeit und nehmen das zahlreiche Sterben auf dem Mittelmeer in Kauf, da sie sich nicht auf einen europäischen Verteilungsschlüssel für die aus Seenot Geretteten einigen können. Stattdessen wird bei jedem ankommenden Rettungsschiff in einem unerträglich langen Verfahren verhandelt, welcher Staat wie viele Gerettete aufnehmen soll. Gleichzeitig wurden die Einsätze der EU-Mission EUNAVFOR Med „Operation Sophia“, – benannt nach einem Kind, das im August 2015 auf einer deutschen Fregatte von einer somalischen Geflüchteten geboren wurde – deutlich zurückgefahren (2016 – 2017: 83 Einsätze, 2017 – 2018: 25 Einsätze). Ende März entschieden die EU-Mitgliedstaaten auf Druck Italiens, den Einsatz von Schiffen komplett einzustellen, es soll bis auf weiteres nur noch aus der Luft beobachtet werden. Während ihrer Einsätze rettete die Operation rund 45.000 Menschen vor dem Ertrinken. Diese Entwicklungen bestätigen, dass die Europäische Seenotrettung gescheitert ist.
Humanitäre Grundprinzipien einhalten – Menschenleben retten
Dabei ist insbesondere das Gebot, aus Seenot geretteten Menschen Schutz zu gewähren, in der maritimen Tradition tief verankert. So verpflichtet Artikel 98 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen alle Schiffe dazu, jeder Person, die auf See in Lebensgefahr angetroffen wird, Hilfe zu leisten. Dies gilt unabhängig vom seerechtlichen Status des Gewässers und unabhängig davon, ob die Notlage von den zu rettenden Personen „selbst oder schuldhaft“ herbeigeführt wurde.
Darüber hinaus stellt die Europäische Union mit der Charta der Grundrechte den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns und gründet sich auf den unteilbaren und universellen Werten der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität. Dieses Selbstverständnis sollte allein schon Beweggrund genug sein, um die Rettung von in Seenot geratenen Menschen zu unterstützen oder sie wenigstens nicht aktiv zu behindern.
Zudem unterliegen EU-Staaten nach Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Anti-Folter-Konvention dem Non-Refoulement-Grundsatz. Demnach darf kein Geflüchteter ohne Prüfung der Schutzbedürftigkeit in ein Land ausgewiesen werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit bedroht ist. Dies schließt eine Zurückführung von Geflüchteten nach Libyen, wie sie aktuell von der EU betrieben wird, eindeutig aus. Mit der Zurückführung werden die Menschen wieder in die Lager gebracht, die von Milizen organisiert werden, um Geld zu erpressen. Sie werden unter erbärmlichen Haftbedingungen in völlig überfüllen Zellen festgehalten, der Zugang zu medizinischer Versorgung und ausreichender Nahrung wird ihnen verwehrt. Zudem berichten Überlebende dieser Lager von systematischer Folter und Misshandlungen wie sexualisierter Gewalt, schweren Schlägen, Sklaverei und Erpressung. Die EU ist hier gefordert, sich auf ihre humanitären Werte zurückzubesinnen und dieser menschenverachtenden Praxis endlich Einhalt zu gebieten.
Unterstützer*innen
- Anette Courtis (KV Main-Taunus)
- Eva Goldbach (KV Vogelsberg)
- Simon Bogumil (KV Kassel-Stadt)
- Konstanze Küppers (KV Wiesbaden)
- Hans-Dieter Stübenrath (KV Gießen)
- Zena El Jaraan (KV Gießen)
- Joachim Grebe (KV Darmstadt)
- Jutta Gehrig (KV Frankfurt)
- Alexander Wright (KV Gießen)
- Tina Zapf (KV Frankfurt)
- Haluk Kaya (KV Main Taunus)
- Fabian Mirold-Stroh (KV Gießen)
- Reinhard Bayer (KV Gießen)
- Gerda Weigel-Greilich (KV Gießen)
- Martin Klußmann (KV Gießen)
- Marcus Schmitt (KV Main-Taunus)
- Awet Tesfaiesus (KV Kassel-Stadt)
- Taylan Burcu (KV Frankfurt)
- Marcus Bocklet (KV Frankfurt)